Sehen
Durchgestrichen
Ich saß nachts vor dem Laptop,
ein Glas Rotwein halb leer,
die Hose schon offen,
und klickte mich durch die Profile.
Dutzende Gesichter,
alle gleich geschminkt,
alle gleich gelangweilt.
Dann blieb ich bei ihr hängen.
„Jasmin, 28, sehr devot, alles außer GV ungeschützt.“
Das Foto zeigte sie in schwarzer Spitze,
auf allen vieren,
den Blick direkt in die Kamera –
nicht flehend, nicht nuttig,
sondern einfach nur:
„Na los, sag schon, was du willst.“
Ich rief an.
Es klingelte dreimal,
dann ihre Stimme,
rauchig, müde,
als hätte sie gerade jemanden weggeküsst.
„Hallo, Süßer.“
Ich kam gleich zur Sache.
„Anal? Deepthroat bis zum Anschlag? Gesichtsbesamung? Und darfst du schlucken?“
Ein kurzes Schnauben, fast ein Lachen.
Dann ratterte sie die Liste herunter
wie eine Kassiererin im Supermarkt:
„Anal plus hundert.
Deepthroat ohne Aufpreis.
Gesicht ja, aber nicht in die Augen, das brennt.
Schlucken fünfzig extra.
Französisch beidseitig siebzig.
NS geben hundertfünfzig, empfangen nur mit Voranmeldung.
Rollenspiele nach Absprache.“
Keine Pause, kein Kokettieren,
kein „das machen wir dann, wie du magst, mein Hengst“.
Nur Preise. Tarife. Ein Menü ohne Liebe.
Ich spürte,
wie mein Schwanz langsam wieder einschlief.
Die Fantasie –
diese devote, geile, dreckige Jasmin,
die sich mir völlig hingibt –
zerplatzte wie eine Seifenblase.
Was blieb,
war eine Frau,
die neben dem Telefon wahrscheinlich eine Tabelle mit Excel führte:
Kunde 23, 21:15–22:00 Uhr, 350 Euro minus Trinkgeld.
„Okay“, sagte ich.
„Danke für die Auskunft.“
„Kein Problem, Süßer.
Ruf wieder an, wenn du buchen willst.“
Ich legte auf.
Strich ihren Namen durch.
Nicht mit dem Finger – in meinem Kopf.
Rot. Dick. Endgültig.
Manchmal ist die größte Ernüchterung
nicht, dass sie es für Geld macht.
Sondern dass sie es so routiniert macht,
dass man sich vorkommt
wie der Typ, der beim Bäcker fragt,
ob die Brötchen auch wirklich frisch sind –
und nur ein müdes „zwei fünfzig“ zur Antwort kriegt.
Ich schloss den Laptop,
trank den Wein aus
und ging ins Bett.
Allein.
Mit einem Ständer,
der sich plötzlich wieder meldete –
aber jetzt aus Trotz.
Aus Stolz.
Aus dem Wissen,
dass ich morgen früh einfach die Nachbarin fragen werde,
ob sie Lust hat, mir den Arsch zu lecken.
Kostenlos.
Und mit echter Geilheit in der Stimme.
Manche Dinge kauft man nicht.
Man erobert sie sich.
Oder lässt es eben bleiben.