Sehen
Ein Kuss bleibt für immer
In der Kneipe, wo der Rauch wie ein alter Mantel an den Wänden klebt,
sitzt Karl, die Finger um ein Pils gekrallt,
als wär’s das Einzige, was ihn noch hält.
Sein Gesicht ist zerfurcht wie die Straßen in Kreuzberg,
Augen wie Glühbirnen, die kurz vor dem Durchbrennen sind.
Neben ihm Ella, Lippen wie roter Lack, der aufplatzt,
sie lacht, heiser, wie ein Motor, der nicht anspringen will.
Die Luft hier drin ist dick, nach Schweiß und billigem Parfüm,
Worte fallen wie Asche, kaum gesprochen, schon verglüht.
Draußen heult der Wind durch die Gassen,
als hätte Berlin selbst ’ne Rechnung offen.
Karl starrt in sein Glas, die Schaumkrone längst tot,
sagt was, leise, fast wie ’ne Beichte.
Ella grinst, ihre Zähne blitzen wie die Neonlichter überm Tresen,
die flackern, aber nie den Geist aufgeben.
Sie reden nicht viel, hier zählen Worte wie Pfandflaschen –
man sammelt sie, aber sie bringen dich nicht weit.
Er beugt sich vor, langsam, als würde die Zeit ’nen Moment die Luft anhalten.
Ein Kuss.
Nicht zart, nicht romantisch, sondern rau wie der Asphalt vor der Tür.
Er brennt, wie ein Schluck Korn, der die Kehle runterkratzt.
Ella zieht die Braue hoch, sagt nichts,
nippt an ihrem Glas, als wär nichts gewesen.
Aber der Kuss hängt da, schwer wie der Rauch,
unsichtbar, doch er drückt wie Blei auf die Brust.
Keiner nimmt ihn zurück, keiner will’s.
Er bleibt, wie die Flecken auf dem Tresen,
wie die Lieder aus der Jukebox, die keiner mehr hört.
Die Nacht schleppt sich weiter, Gläser klirren,
irgendwo lacht jemand zu laut,
als wollte er die Stille ertränken.
Karl und Ella sitzen da, zwei Schatten in der Menge,
die Kneipe ein Schiff, das nirgendwo anlegt.
Draußen wird die Stadt grau, der Morgen lauert wie ein Dieb.
Als die ersten Sonnenstrahlen durch die schmutzigen Fenster kriechen,
ist Ella weg.
Kein Abschied, kein Zettel, nur ihr Duft,
der noch an Karls Jacke hängt,
wie ein Geist, der nicht weiß, wohin.
Er sitzt allein, die Kippe zwischen den Lippen,
der Geschmack von gestern klebt an ihm wie Teer.
Er grinst schief, zündet die nächste an.
Ein Kuss, denkt er, ist wie ’ne Wette,
die man immer verliert, aber trotzdem setzt.
Die Kneipe schweigt, als wüsste sie’s besser,
die Wände vollgeschrieben mit Geschichten,
die keiner erzählt.
Karl zahlt, schiebt den Stuhl zurück,
die Beine schwer wie die Nacht.
Draußen ist Berlin kalt, die Straßen leer,
nur ein Penner murmelt was von verlorenen Träumen.
Karl geht, die Hände in den Taschen,
der Kuss immer noch da, wie ein Lied,
das man nicht mehr aus dem Kopf kriegt.
Er trägt ihn mit sich, durch die U-Bahn,
durch die grauen Tage, die kommen und gehen.
Ein Kuss bleibt, immer,
wie die Narben, die man nicht sieht,
wie die Lichter in der Kneipe,
die flackern, aber nie ausgehen.
Und irgendwo, in einer anderen Ecke der Stadt,
sitzt Ella vielleicht, mit einem neuen Glas,
einem neuen Karl,
aber der Kuss, der bleibt auch bei ihr,
wie ein Schatten, der nicht wegläuft.