Sehen

Er ist sich nicht sicher

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Er schaut von unten auf ihr schweißrotes Gesicht.

Sie ist schön, ja.

Das ja, sagt er sich,
aber ihren Charakter kann er nicht so recht deuten.

Ihre Augen stechen ihn schmerzhaft in seine Augen.

Ihr dunkelrotgeschminkter Mund öffnet sich zu einem Lächeln
zu einem Lächeln, das er ebenso wenig deuten kann

Er ist erschöpft wie sie.

Ihr schwerer tiefer Atem riecht nach feuchter Erde

Kann sowas sein?

Ihr Gesicht beugt sich noch näher zu seinem herunter

Ja, feuchte Erde!

Sie spricht nicht mehr

Sie schaut ihn nur an mit ihren grünen Katzenaugen die ihn so stechen

Ihre Zunge kommt jetzt langsam aus ihrem Mund hervor
erst nur die Spitze,
aber gleich wird die Zunge länger,
berührt fast seine Lippen

Er liegt weiter unbeweglich unter ihr
noch wie gelähmt von dem, was zuvor gewesen

Seine Gedanken – auch wie gelähmt –
können noch keine Denkprozesse zuwege bringen

Doch jetzt, wo ihre feuchte Zungenspitze seine Oberlippe leicht berührt
kommt in seinem Hirn etwas in Gang:

Ist es das, was mich gereizt hat an ihr?

Ihre Skrupellosigkeit auf diesem sexuellen Gebiet?

Auf diesem speziellen?

Ja, sicher war es genau das!

Aber er ist gerade auf diesem Gebiet nicht nur ein ungeübter Anfänger

Nein, ihn zog es seiner Natur nach gar nicht nach diesem Gebiet

Es war allein ihre Dominanz die sie über ihn ausübte
die ihn schließlich doch hierherbrachte – auf dieses Gebiet

Und so ergab er sich in ihre starken Arme
und tat was sie ihm auferlegte
und ließ geschehen, was sie an ihm tat

Ihre Befriedigung war gänzlich –
deutlich zu spüren und zu sehen

seine, befindet sich in einer Art Werden

seine Bewußtwerdung über sein Tatendrang
seine Entscheidung zur Initiative – bis hin zum aktiven Tun
setzt ihm zu

Ist es das, was er wollte,
was auch ihm Befriedigung geben sollte?

Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen
als er gedanklich einen Schritt weiter geht
und auf das gerade Geschehene zurückblickt:

Seine rosa Zunge hatte an ihrer Ferse geleckt
und seine Augen – die schauten auf zu ihr
bis sich der erwartungsvolle Blick wieder senkte...

Da war er niemandes Kind mehr

Sehnte nur Härte, um weich zu fallen

In ihre strengen Arme.

Die alles durften
an ihm, mit ihm –;

wie ihr triebbeseelter Mutwille
den sie ihm schenkte,
und der so weit ging
bis sich seine schönen Augen vor Schmerz verdrehten

Seine gepreßten Tränen, die herausquollen
leckte sie zum Ende zärtlich von seinem Gesicht
und flüsterte ihm süße Worte ein
von angekommen…

löste dann seine Fesseln
und kam mit ihm zusammen
zum erlösenden Anfang des nächsten Endes.

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