Sehen

Faulheit & Verzweiflung

Charles Haiku

Ich könnte mich in den Arsch beißen,
wenn ich so gelenkig wäre.

Gestern habe ich ein altes Foto gefunden.
Darauf trage ich sie:
meine Lieblingslederjacke.

Schweres, dunkles Leder,
frisch aus dem zweiten Krieg,
aber sie saß nicht „wie ein Sack“,
sie passte perfekt.

Als wäre sie für mich gemacht worden,
lange bevor ich überhaupt auf der Welt war.

Die Schultern genau richtig,
die Ärmel genau richtig,
das Gewicht genau richtig.

Man zog sie an
und war sofort jemand,
der etwas erlebt hatte,
auch wenn man nur zur Uni fuhr.

Nur das Innenfutter
hatte irgendwann einen kleinen Riss bekommen,
rechts an der Tasche.

Nichts Dramatisches,
ein paar Fäden, die sich gelöst hatten.

Ein guter Schneider
hätte das in einer Viertelstunde erledigt,
und sie wäre wieder wie neu gewesen.

Stattdessen habe ich sie in den Keller verbannt.
„Bis ich mal Zeit habe.“

Zeit wofür tatsächlich?

Sie roch schon leicht modrig,
wenn ich sie nach Monaten wieder hochholte,
dieser typische Kellergeruch,
feucht und muffig,
der sich in alles frisst,
was man zu lange vergisst.

Eines Tages habe ich sie dann endgültig rausgeholt,
sie angehalten,
den Riss gespürt,
den Geruch in der Nase gehabt
und gedacht:
„Zu viel Aufwand.“

Weg damit.
In den Container.
Leichtfertig, dumm, endgültig.

Heute würde ich alles geben
für diesen muffigen Kellergeruch,
für diesen kleinen Riss,
für diese Jacke, die so perfekt saß.

Ich würde sie zum Schneider bringen,
sie lüften, sie retten.

Stattdessen stehe ich vor dem Foto
und spüre nur eins:
dass ich selbst der Riss war,
den niemand mehr flicken kann.

Manchmal braucht es keinen Weltuntergang
für Verzweiflung.

Manchmal reicht ein kleiner Fehler,
ein bisschen Bequemlichkeit
und die Erkenntnis,
dass man etwas Einzigartiges weggeworfen hat,
weil man zu blöd war, es zu erhalten.

Bleiben Sie anständig, moralisch und sauber –
und wenn etwas einen Riss hat,
nähen Sie ihn,
bevor der Kellergeruch übernimmt.

Grüßen Sie mir alle,
die Sie barfuß treffen.

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