Sehen

Gebet im Neonlicht

Charles Haiku

Sie knieten nieder
in der alten Kapelle der Begierde,
die einst eine Diskothek war
und nun nach Weihrauch und Poppers roch.

Die Bänke waren durch Matratzen ersetzt,
das Kreuz durch einen riesigen, pulsierenden Dildo
aus Neonlicht.

Sie arbeiteten an sich selbst –
mit Hingabe.

Manche mit dem Finger,
andere mit dem ganzen Unterarm,
wieder andere mit Geräten,
die aussahen wie mittelalterliche Folterwerkzeuge,
aber mit CE-Prüfsiegel und Akku.

Stöhnen statt Psalmen.
Schweiß statt Weihwasser.

Sie beteten.
Nicht zu Gott,
sondern zur Prostata,
zur Klitoris,
zum heiligen Punkt,
der tief drinnen wohnt
und nur durch Druck und Geduld antwortet.

„Oh ja, tiefer, du göttliche Sau“,
flüsterte ein Mann mit Vollbart und Hochschulabschluss,
während ihm seine Freundin
drei Finger und einen Daumen
in den Allerheiligsten schob.

Sex ist gesund,
predigte der nackte Priester
mit dem Piercing im Frenulum.

Er hatte eine Hand am Mikrofon,
die andere in sich selbst vergraben.

Sex reinigt die Chakren,
senkt den Blutdruck,
stärkt das Immunsystem.
Wer regelmäßig kommt, stirbt später.
Wissenschaftlich erwiesen.
Amen.

Drogen sind unser Heil.

Ein Joint wurde herumgereicht
wie früher die Hostie.
MDMA als Sakrament der Liebe.
Poppers als heiliger Geist,
der einem den Arsch öffnet
wie einst das Rote Meer.

Wer high ist, spürt keine Scham mehr –
nur noch die pure, göttliche Geilheit.

Wir wollen erleuchtet werden,
rief die Gemeinde im Chor,
während ein Paar mitten im Gang
anal verschmolz
und dabei laut das Mantra
„Fick mich erleuchtet“ skandierte.

Geld ist ein Fluch,
sagten sie,
während sie ihre letzten Scheine
in den Klingelbeutel warfen –
einen alten Kondomautomaten,
der nun für die Gemeinnützige Stiftung Freie Rosette sammelte.

Danach war Schluss mit dem heiligen Ernst.

Sie erhoben sich,
wischten sich den Schweiß
und andere Körperflüssigkeiten aus dem Gesicht,
zogen sich an, zogen sich aus, zogen sich wieder an.

Tranken ein kühles Bier direkt aus der Flasche.
Prosteten sich zu.
Spendeten ihr Kleingeld in den Automaten –
für neue Gleitgelvorräte und frische Handtücher.

Und alle fühlten sich erleichtert und befreit.

Der eine, weil er endlich gekommen war wie noch nie.
Die andere, weil sie endlich genommen hatte, was sie wollte.
Der Priester, weil seine Kasse wieder voll war.

Sie verließen die Kapelle
mit leichtem Schritt und wunder Rosette,
bereit für die nächste Messe am kommenden Sonntag.

Denn hier war Erlösung nicht irgendwann im Himmel –
sondern heute, jetzt, tief drinnen.

Gelobt sei der Herr.
Und gelobt sei der Arsch.

Amen.
Und Prost.

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