Sehen
Gedicht an die weibliche Gefühlswelt
Du hockst da, die Lippen schmal,
ein Strich, gezogen mit kaltem Bleistift,
die Augen zwei Münzen, blank und frostig,
kein Glanz, nur ein Starren, das nichts verrät.
Was nagt an dir? Welche Laus,
welcher Stachel hat sich in dein Gemüt gebohrt?
War’s ein Kerl, einer von der Sorte,
die mit Worten jonglieren, aber nicht halten,
was sie versprechen? Ein windiger Typ,
mit Charme wie ein billiger Anzug,
der bei der ersten Wäsche zerfällt?
Hat er dich stehen lassen,
mitten im Satz, mitten im Leben,
dass du jetzt Gift spuckst,
schnippisch wie ein Dorn,
der sich in die Haut frisst?
Oder bist du’s selbst?
Trägst du die Klinge in dir,
scharf und bereit, jeden zu schneiden,
der sich traut, dir nahe zu kommen?
Deine Zunge, ein Skalpell,
dein Blick, ein Zaun aus Stacheldraht.
Vertreibst du sie alle,
die Freunde, die Fremden,
die es wagen, dein Schweigen zu stören?
Du zuckst die Schultern,
schaust weg, sagst nichts.
Dein Schweigen ist lauter als Worte,
es schreit: Lass mich in Ruhe!
Doch deine Ruhe ist keine,
sie ist ein Sturm, eingesperrt
in einem Glas, das du selbst nicht brichst.
Der Kaffee vor dir, kalt wie dein Blick,
die Tasse ein stummer Zeuge
deiner Stunden, die du hier vergeudest.
Die Welt da draußen rauscht vorbei,
ein Strom aus Lärm und Leben,
doch du bist eine Insel,
unbetretbar, unbewohnt.
Weißt du, wer du bist?
Oder bist du dir fremd,
ein Rätsel, das du nicht lösen willst?
Du trägst dein Herz wie einen Koffer,
schwer, verschlossen, ohne Griff.
Keiner soll ihn öffnen,
nicht einmal du selbst.
Die Stadt um dich herum atmet,
sie keucht und lacht, sie stolpert und singt.
Doch du sitzt hier,
eine Statue aus Fleisch und Knochen,
unbewegt, unberührt.
Was hält dich fest?
Was bindet dich an diesen Stuhl,
an diesen Tisch, an dieses Schweigen?
Ist es die Angst, dass du zerbrichst,
wenn du dich rührst?
Oder ist es die Wut,
die dich zusammenhält,
wie Klebstoff, der bröckelt?
Du bist ein Schauspiel,
das niemand sieht,
eine Tragödie ohne Publikum.
Und doch, da ist etwas in deinem Blick,
ein Funke, der sich versteckt,
hinter den kalten Münzen deiner Augen.
Ein Sehnen vielleicht,
nach etwas, das du nicht nennen kannst.
Ein Wort, ein Gesicht, ein Moment,
der dich aus diesem Käfig holt.
Doch du bleibst sitzen,
die Hände um die Tasse geklammert,
als wäre sie dein Anker,
als könnte sie dich retten.
Die Welt dreht sich weiter,
ohne dich, um dich herum.
Und du, du bleibst zurück,
mit deinem Kaffee, deinem Schweigen,
und einem Rätsel, das du nicht löst.