Sehen

gefunden und verloren

Gernot Schwarm

Zwischen dampfenden Kaffeetassen
und zerknitterten Notizzetteln
entdeckte ich dich.

Es war 14:37 Uhr,
in der überheizten Kantine der Agentur,
wo der Chef gerade seinen Geburtstag
mit billigem Prosecco feierte.

Du trugst ein Tablett
mit belegten Brötchen –
Schinken,
Käse,
Gurke,
alles ordentlich gestapelt
wie kleine Türme der Versuchung.

Ich griff nach einem
mit Ei und Mayonnaise,
unsere Finger berührten sich,
und der Klecks Senf auf dem Brot
tropfte auf deine Handfläche,
gelb und klebrig.

Wir schlangen die Brötchen hinunter,
als gäbe es kein Morgen.

Der Schinken war fettig,
zerging auf der Zunge,
der Käse schmolz cremig,
und der Prosecco sprudelte prickelnd
die Kehle hinab,
bis der Kopf leicht wurde.

Dein Blazer spannte über den Hüften,
mein Pullover klebte am Rücken.

In Gedanken rissen wir uns die Kleidung vom Leib:
Du ließest den Rock hochrutschen,
enthülltest Schenkel,
die nach Salz und Brot dufteten,
ich zog den Gürtel auf,
stellte mir vor,
wie dein Atem nach Kaffee und Erregung roch.

Deine Zunge leckte den Senf
von deinen Fingern,
meine Augen folgten jeder Bewegung.

Wir lachten über den Kollegen,
der ein Brötchen fallen ließ
und es hastig aufhob.

Prosecco floss,
wir tranken abwechselnd aus einer Flasche,
Lippen streiften den Rand,
fast berührten sie sich.

Deine Wangen glühten,
meine Hose wurde eng.

Gedanklich vögelten wir schon:
Du auf dem Kantinentisch,
Beine breit,
Brötchenkrümel auf deiner Haut,
ich leckte sie ab,
stieß tief in dich,
während Prosecco über deine Brüste rann
und wir in dem Chaos aus Brot und Begierde versanken.

Doch dann kam der Chef mit seiner Rede,
die Menge drängte,
ein Praktikant zog dich zur Kaffeemaschine,
ich zum Kopierer.

Bevor wir ins Hinterzimmer schlüpfen konnten –
Tür schon angelehnt,
Kondom in der Tasche –
warst du verschwunden.

Nur der Geschmack von Senf und Schinken blieb,
salzig auf meiner Zunge,
pochend in meiner Hose.

Die Kantine leerte sich,
und ich stand da,
mit einem halb gegessenen Brötchen in der Hand,
hart vor Verlangen.

Solche Momente sind rar
in diesem Büroalltag,
wo alles in Akten und Fristen erstickt.

Aber vielleicht nächstes Mal,
bei der Weihnachtsfeier,
mit Glühwein und Lebkuchen.

Dann greife ich zu,
ohne Zögern.

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