Sehen

harte Worte vom Verleger

Charles Haiku

Der Verleger sitzt am Schreibtisch,
blättert durch die letzten Manuskripte
und schüttelt den Kopf so heftig,
dass seine Halbglatze glänzt
wie eine frisch polierte Glatze
nach einem missglückten Blowjob.

„Harte Worte“, sagt er,
„du musst endlich harte Worte schreiben.
Etwas, das die Leute kaufen.
Etwas, das sie geil macht, wütend macht,
jedenfalls irgendwas macht,
nur nicht dieses ewige Rumgefummel an der eigenen Seele,
das niemand außer deiner Mutter
und drei depressiven Literaturstudenten liest.“

Ich nicke.
Natürlich nicke ich.
Er hat ja recht.

Der Mann bin schließlich ich selbst,
nur in der Version,
der die Rechnungen bezahlt
und sich fragt,
warum der Kühlschrank leer ist,
während das andere Ich
noch immer davon träumt,
mit einem einzigen Satz die Welt zu vögeln.

„Schreib einen Bestseller“, sagt er / ich
und schlägt mit der flachen Hand
auf den Stapel unverkaufter Geniestreiche.

„Schreib über Nutten in Not,
über Morgenlatten, die die Republik bedrohen,
über Manager, die sich von Dominas
die Bilanz in den Arsch prügeln lassen.

Schreib über das, was die Leute wirklich antörnt:
die pure, dreckige, lachhafte Wahrheit
über ihr eigenes Versagen im Bett und im Leben.“

Ich zucke zusammen.
Das klingt verdächtig nach dem,
was ich seit Jahren schreibe.
Nur ohne den Schutzschild der vermeintlichen Kunst.
Ohne die feine Ironie,
die sagt: Ich mache mich nur lustig,
ich bin ja eigentlich ganz anders.

„Du bist nicht anders“, sagt der Verleger-Ich
und grinst hässlich.

„Du bist genau so ein geiler, frustrierter, spannerhafter Wichser
wie alle anderen auch.
Nur dass du es aufschreibst, statt es einfach zu tun.

Und genau deshalb kauft es niemand.
Weil sie sich nicht in deinen Zeilen wiedererkennen wollen,
sie wollen sich bestätigt fühlen,
dass sie die einzig Normalen sind
und alle anderen die Perversen.“

Er lehnt sich zurück,
zündet sich eine Zigarre an,
obwohl wir beide Nichtraucher sind,
und bläst mir den Rauch ins Gesicht.

„Schreib einen Bestseller,
oder ich kürze dir das Honorar.

Schreib über den deutschen Mann,
der morgens mit einer Latte aufwacht,
die hart genug wäre, die Mauer wieder aufzubauen,
und abends doch nur vor dem Computer hockt
und sich einen runterholt,
weil die eigene Frau nebenan schnarcht
wie ein kaputter Kühlschrank.

Schreib über die Frau,
die sich fragt,
warum ihr Mann lieber auf Bildschirmtitten starrt
als auf ihre eigenen,
die seit drei Kindern Richtung Süden zeigen.

Schreib über die ganze verlogene, verklemmte, versauté Republik,
die sich einredet, aufgeklärt zu sein,
während sie heimlich davon träumt,
endlich mal richtig durchgefickt zu werden,
von wem auch immer.“

Ich schweige.
Weil er recht hat.
Weil ich recht habe.
Weil wir beide dasselbe Schwein sind.

„Weich macht niemand hart“, sagt der Verleger
und lacht dreckig.
„Und hart wollen sie alle.
Hart und schnell und ohne Nachdenken.“

Ich nicke wieder.

Dann schmeiße ich das Manuskript in die Ecke,
öffne ein neues Dokument
und schreibe den ersten Satz:

„Deutschland ist ein Land,
in dem Millionen Männer jeden Morgen mit einer Erektion aufwachen,
die sie lieber verstecken als benutzen.“

Der Verleger-Ich grinst zufrieden,
zündet sich die nächste Zigarre an
und sagt:

„Jetzt wird gefickt.“

Und ich schreibe weiter.

Weil er recht hat.
Weil ich recht habe.
Weil wir beide dasselbe Schwein sind.

Und weil endlich mal einer die Wahrheit sagen muss,
hart, dreckig und ohne Feigenblatt.

Denn nur so wird aus unverkäuflicher Scheiße
irgendwann ein Bestseller.

Oder zumindest ein ehrliches Buch.

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