Sehen

Im Hausflur

Peter Muschke

Im Hausflur lauert die Kälte
wie ein alter Feind,
der sich in den Wänden eingenistet hat.

Der Geruch nach abgestandener Suppe
mischt sich mit dem beißenden Nikotin,
das von den Nachbarn hochquillt,
die den ganzen Tag rauchen und fernsehen.

Ich taste mich die Treppe hinunter,
die Stufen knarren unter meinen Schuhen,
als wollten sie warnen:
Hier passiert nichts Gutes.

Doch dann öffnet sich die Tür zum Erdgeschoss,
und sie tritt heraus –
eine blonde Frau,
die ich noch nie hier gesehen habe.

Ihr Haar fällt in weichen Wellen über die Schultern,
der Mantel eng anliegend,
als wäre er für genau diesen Moment geschneidert.

Sie ist neu, fremd,
ein Riss in der Routine dieses trostlosen Blocks.

Unsere Blicke prallen aufeinander,
hart und unvermittelt.

In ihren Augen lodert etwas Wildes,
ein Versprechen von verbotenen Nächten,
von Händen, die greifen, wo sie nicht sollten,
von Seufzern, die die Wände zum Vibrieren bringen.

Mein Puls rast,
ich stelle mir vor,
wie sie mich gegen die kalte Flurwand drückt,
ihre Lippen fordernd,
ihr Körper ein Sturm aus Hitze in dieser eisigen Höhle.

Sie mustert mich ebenso,
als würde sie meine geheimsten Gelüste erraten –
den Wunsch nach roher, ungezügelter Lust,
fern von Alltag und Moral.

Ein Funke springt über, elektrisch,
versengt die Luft zwischen uns.

Wir versprechen uns Abenteuer:
Sie, die Blonde mit den Kurven,
die sich unter dem Stoff andeuten,
ich, der einsame Bewohner,
der nachts von solchen Begegnungen träumt.

Kein Wort fällt,
nur dieser Blick,
der alles sagt –
komm her,
lass uns die Kälte vergessen,
lass uns schwitzen und keuchen.

Doch dann löst sie sich,
dreht ab,
als wäre nichts gewesen.

Das Klacken ihrer Absätze hallt durch den Flur,
scharf wie Peitschenhiebe,
ein Rhythmus, der in meinem Kopf nachhallt.

Sie tritt hinaus auf die Straße,
verschwindet in der Dunkelheit,
wo Neonlichter flackern
und Autos vorbeirauschen.

Ich stehe da,
erregt, frustriert,
die Hand schon in der Tasche,
bereit, die Fantasie zu Ende zu denken.

Wer ist sie?
Die Neue aus dem dritten Stock?
Eine Besucherin?
Oder nur ein Trugbild meiner untervögelten Seele?

Der Flur schmeckt plötzlich nach Verlangen,
nach dem, was nie passiert.

Ich gehe weiter,
aber ihr Echo begleitet mich –
klack, klack –
ein Trommelwirbel für die nächste Jagd.

In diesem Haus voller Suppe und Rauch
lauern mehr solche Momente,
flüchtig, geil, unerfüllt.

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