Sehen
In den Resten was Neues
Ich spaziere durch den Regen.
Wasser tropft von meinem Schirm
auf die Schultern.
Links sehe ich eine Bank,
nass und leer.
Rechts ein Laden,
geschlossen.
Der Boden glänzt schwarz
unter den Füßen.
Plötzlich klebt da ein Papier
an der Litfaßsäule.
Illegal angebracht,
ohne Klebereste zu verbergen.
Ich lese das Wort:
Restwolke.
Restwolke?
Was bedeutet das?
Klingt nach einem Begriff,
der nicht passt.
Ist es Kunst?
Oder Philosophie?
Wer setzt so etwas in die Welt?
Fühlt sich an wie ein Eindringling
in meinen Gedanken.
Ich starre es an.
Das Papier wellt sich schon vom Regen.
Weißer Hintergrund,
schwarze Buchstaben.
Kein weiterer Text.
Nur Restwolke.
Mein Puls steigt.
Warum ärgert mich das?
Als ob jemand meinen Verstand herausfordert.
Ich denke an meine eigenen Ideen,
sorgfältig geordnet.
Das hier stört.
Was tun?
Ignorieren?
Nein.
Ich greife zu.
Ziehe es ab.
Es reißt leicht,
wird matschig in meiner Hand.
Zerknülle es.
Werfe es in den nächsten Mülleimer.
Weg damit.
Der Regen prasselt stärker.
Ich gehe weiter.
Aber der Begriff hängt nach.
Restwolke.
Im Kopf dreht es sich.
Zu Hause setze ich mich hin.
Öffne meinen Computer.
Suche nach dem Wort.
Nichts.
Keine Treffer.
Seltsam.
Habe ich es mir eingebildet?
Am nächsten Tag wieder spazieren.
Trockenes Wetter.
An der Säule klebt ein Neues.
Wieder Restwolke.
Größer diesmal.
Wer macht das?
Ich reiße es runter.
Zerknülle es.
Werfe es weg.
Fühle mich besser.
Abends erzähle ich es meinem Freund am Telefon.
Er lacht.
„Vielleicht ein Werbegag.“
Ich nicht.
Es nervt.
Nachts schlafe ich schlecht.
Träume von Wolken,
die übrig bleiben.
Wache auf,
schwitze.
Wieder raus.
Säule leer.
Erleichterung.
Aber daneben ein anderes Papier.
Restwolke 2.0.
Mit Erklärung:
„Die Wolke, die bleibt, wenn alle weg sind.“
Philosophie?
Kunst?
Ich lese es durch.
Klingt banal.
Reiße es ab.
Zu Hause bastle ich ein eigenes Plakat.
Schreibe: „Wolken vergehen.“
Klebe es an die Säule.
Illegal, na und?
Warte in der Nähe.
Niemand kommt.
Nächster Morgen.
Mein Plakat weg.
Stattdessen: Restwolke siegt.
Wut steigt.
Ich plane.
Kaufe Kleber,
mache mehrere Kopien meines Textes.
Klebe sie überall hin.
Abends kontrolliere ich.
Alle weg.
Nur Restwolke an jeder Säule.
Wer ist das?
Ein Rivale?
Ich stelle mich hin,
warte stundenlang.
Regen setzt ein.
Niemand.
Dann sehe ich ihn.
Ein Typ,
Kapuze,
klebt eines an.
Ich renne hin.
„Hey, was soll das?“
Er dreht sich um.
Grinst.
„Restwolke. Dein intellektueller Garten?“
Sagt er das wirklich?
Wir reden.
Er erklärt:
Ein Experiment.
Um Reaktionen zu testen.
Leute wie ich,
die es entsorgen.
Kunstinstallation.
Ich lache.
Fühle mich ertappt.
„Mach mit“, sagt er.
Am Ende kleben wir zusammen.
Restwolke überall.
Regen hört auf.
Fühlt sich frei an.
Kein Garten mehr zu verteidigen.
Nur Worte im Wind.
Zu Hause denke ich nach.
Vielleicht war es gut.
Der Begriff bleibt.
Restwolke.
In meinem Kopf.
Eigenes Projekt jetzt.
Schreibe eine Notiz:
„Restidee.“
Klebe sie an meine Wand.
Illegal in meinem Zimmer.
Grinse.
Der Spaziergang geht weiter.
Jeden Tag.
Mit neuen Papieren.