Sehen

Intro eines Novellenmanuskriptes

Ferdinand Freiherr von der Ferne

–; gelesen und abgelehnt vom Verleger des Verlags R.

Valentina war sich in ihrem Vorsatz,
die gehobene Lebensart
und deren äußerlich sichtbaren Attribute
einer Dame von Bedeutung zu zeigen,
stets treu geblieben.

Schon früh daran gewöhnt,
allein durch ihre außergewöhnliche Schönheit,
von sämtlichen Vertretern des männlichen Geschlechtes umschwärmt zu werden,
brachte sie es darin zu einer weiteren Steigerung,
indem sie sich als Schriftstellerin
von bemerkenswerter Intelligenz und Raffinesse –
was sie in ihren Werken deutlich erkennen ließ –,
einen ganz gewissen Namen machte.

Dieser Name war eingerahmt
von jener Sphinxhaftigkeit,
die Valentina unablässig zur Schau trug,
und aus der heraus ihre Schönheit so geheimnisvoll erschien.

Und diese für sich zu nutzen,
wußte sie schon von jeher vortrefflich –
was ihr zusätzlich die Erfahrung einbrachte,
daß gerade in den dunkelsten Leidenschaften der Männer,
die größte Macht der Frauen schlummerte.

Zudem war sie stets weitab
von den konventionellen Maximen dieser Männerwelt gewesen,
in der sie sich wähnte.

Ihre Vorstellungen von Frau/Mann-Beziehungen
gingen ganz woanders hin –;
wo ihr nicht eine fragwürdige Treue ohne wahrhafte Liebe abverlangt wird,
mit einer ebenso fragwürdigen Hingebung dem Mann gegenüber,
dem es einerlei ist,
daß die Frau dabei meist ohne sinnlichen Genuß bleibt!

„In dieser Welt gilt es zu dominieren,
oder dominiert zu werden!“ –,
so sagte sie sich.

„Einem Mann für ewig anzugehören,
bloß weil ich ihn irgendeinmal geliebt habe?
Nein,
ich will jeden glücklich machen
der mich liebt und der mir gefällt –
zu jeder Zeit!

Ich entsage niemandem
nach dem es mich verlangt
und dem gleichzeitig meine Reize in Erregung versetzen!

Ich will mich dem Element der Sinnlichkeit hingeben
und die Befriedigungen auskosten,
die meine Lust mir beschert.

Somit werde ich,
um diese Ziele zu erreichen,
die Männer dominieren!“

Für viele Jahre war es ihr mehr als gelungen.

Doch in der Natur ist es nun einmal so eingerichtet,
daß alles im Leben sein Verfallsdatum hat.

Diese Tatsache an sich selbst anzuerkennen,
war Valentina mehr und mehr schwer gefallen.

Schon mehr als sechzig Frühlinge erlebt,
aufregende und weniger aufregende –
die weniger aufregenden hatten in den letzten Jahren deutlich zugenommen –
stand sie im Spätherbst ihres Lebens,
gerade in der Empfangshalle eines Grand Hotels,
in dem sie logierte,
rauchte eine Zigarette,
dachte an nichts
und beobachtete das Treiben der Menschen.

Die livrierten Burschen etwa,
die in wenig angebrachtem Diensteifer
sich um Neuankömmlinge bemühten,
indem sie versuchten
ihnen unaufgefordert das Reisegepäck aus der Hand zu nehmen.

Die Überheblichkeiten,
die in den Gesichtern der vornehmen und reichen Hotelgäste geschrieben standen,
stießen sie ab.

Insbesondere wenn der Eindruck allzu offen lag,
daß außer Reichtum und die selbstgefällige Vornehmheit
den diese Individuen ausstrahlen,
der genügende Anlaß für sie ist,
diese Überlegenheitsposen aufrechtzuerhalten.

Die Art,
wie ein korpulenter Würdenträger
mit einem subtil geringschätzendem Grinsen
gerade seine Zimmerschlüssel einem Bediensteten aushändigte,
war Valentina eine Bestätigung ihrer Betrachtungsweise
und zwang sie zu einem kopfschüttelnden Lächeln.

Die Gleichförmigkeit ihres derzeitigen Lebens deutlich spürend,
schwebte ihr Blick
in der Hoffnung auf eine unverhoffte Zerstreuung,
in dem Spektrum zwischen der großen gläsernen Drehtür des Hoteleingangs
und dem etwa zwölf Meter davon entfernten Rezeptionsbereich.

Ruckartig fuhren plötzlich all ihre Sinne
beim Anblick eines jungen Mannes auf,
der an der Rezeption mit einem Hoteldiener etwas verhandelte.

Es war offensichtlich,
daß er im Begriff stand abzureisen,
denn der Page stellte ihm gerade seine Koffer vor die Füße.

Wer über einen ganz bestimmten Abschnitt
aus Valentinas Vorleben Kenntnisse hätte,
dem würde es nicht schwer fallen,
ihre Empfindungen zu erraten,
die sich beim Anblick dieses jungen Mannes
so schlagartig in ihrem Innersten einstellten.

Urplötzlich wurde ihr Blick betroffen –
von diesem Gesicht,
das sie in ihren Gedanken um viele Jahre zurückversetzte.

Unter heftigem Herzklopfen,
ging sie langsam auf diesen Mann zu,
der noch immer in Verhandlungen mit dem Hoteldiener stand
und weit davon entfernt war,
wahrzunehmen,
daß er das Zentrum ihrer Aufmerksamkeit bildete.

Nicht mehr als fünf Schritte trennten sie –
und sie blieb stehen.

Immer wieder liefen Hotelgäste und Angestellte dazwischen,
doch ihr entgingen nicht die geringsten Einzelheiten
dieses hübschen Kopfes,
dieses Gesichtes,
auf dem ihre Phantasie entlanggleitete,
als wäre sie wieder zurückversetzt
in diese unabwendbar fatale Zeit ihres Lebens –
und die ihr doch so süß war.

Nicht viel Mühe machte es ihr,
Erkundigungen einzuziehen
über diesen jungen Mann,
der offensichtlich ein wenig überhastet,
samt seinem Gepäck,
das Hotel zu verlassen die Absicht hatte.

Der diensthabende Angestellte der Rezeption,
ein unscheinbarer Typ mittleren Alters,
der auf einen Wink Valentinas vor sie getreten war,
senkte zu Anfang ihrer diskreten Befragung seinen Blick
und seine Augen ruhten eine gute Weile
auf ihren eleganten Schuhen.

Erst nach und nach,
als er ihr schon die eine oder andere Auskunft erteilen konnte,
wanderten seine Augen nach oben
und machten auf der Höhe ihrer Brust halt.

Beinah um einen Kopf größer als Valentina,
hatte er gute Gelegenheit –
und unterstützt durch die Nähe,
die sie durch taktisches Herantreten hergestellt hatte –,
nicht nur auf ihren vollen Busen herabzusehen,
der tief dekolletiert war,
sondern zudem gleichzeitig einen Duft wahrzunehmen,
der von ihrem Parfum,
in Verschmelzung mit dem Eigengeruch
allein dieser rosigen Brüste
seinen Ursprung zu haben schien.

Sehr wohl wußte er
wer hier vor ihm stand.
Ihr Ruf schwebte von jeher
wie eine anzügliche Atmosphäre
durch das gesamte Hotel.

Es brauchte nicht viel mehr
als wie die Zeit,
in der Valentinas halb abgebrannte Zigarette,
die auf einer goldenen Spitze steckte,
ohne weitergeraucht zu werden,
von selbst erlosch –;
und schon hatte sie all die Daten,
die ihr für ihren Zweck brauchbar erschienen.

Und mit einem
„...Wenn ich mir erlauben darf,
des Herren Adresse und entsprechende Nummern,
Madame in schriftlicher Form hinterbringen zu dürfen,
würde ich es mir zum Vorzug rechnen.“,
schloß der diensteifrige Angestellte
mit einer leichten, fast unmerklichen Verbeugung,
untertänigst seine Ausführungen.

„Himmel, was für ein Affe“,
reflektierte Valentina bei sich,
drehte ihm mit einer Geste ihres Einverständnisses den Rücken zu
und begab sich in ihre Suite.

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