Sehen

irgendwann im Mai

Peter Muschke

Die Sonne knallt wie ein geiler Voyeur
auf den Jahrmarkt herunter,

und das Riesenrad dreht sich träge,
als hätte es gestern Nacht zu viel getrunken
und heute Morgen noch schnell eine geblasen bekommen.

Oben in den Gondeln quietschen die hübschen Mädchen im Minirock,
weil der Wind ihnen unters Röckchen fährt
und die Jungs unten schon sabbern wie pawlowsche Hunde.

Die Röcke sind so kurz,
dass man fast die Eintrittskarte für den Tunnel der Liebe sieht –
fast, aber eben nur fast.

Das macht die Sache spannend,
das macht die Hosen eng.

Unten stehen die älteren Herren mit ihren Bulldoggen.
Die Hunde keuchen, sabbern
und starren auf alles, was Beine hat –
genau wie ihre Besitzer.

Einer hat die Leine ums Handgelenk gewickelt
und die andere Hand tief in der Hosentasche vergraben.
Wahrscheinlich streichelt er da unten sein letztes bisschen Stolz,
während er so tut,
als würde er nur die Zuckerwatte der vorbeigehenden Sechzehnjährigen bewundern.

Moralisch sauber, versteht sich.
Nur gucken, nicht anfassen.

Das macht er schon seit vierzig Jahren so,
und seine Prostata dankt es ihm mit nächtlichen Ständern,
die er dann seiner Frau erklärt mit
„Ich hab nur von früher geträumt, Schatz“.

Daneben die verliebten Pärchen.
Die Hand des Typen steckt in der Gesäßtasche seiner Freundin,
als wollte er prüfen,
ob da wirklich kein anderer reingefasst hat.

Sie kichert, er grinst,
und beide wissen genau,
dass sie heute Abend noch unter dem Riesenrad knutschen werden –
oder gleich hinter der Geisterbahn,
wo niemand hinguckt.

Zuckerwatte klebt an ihren Fingern,
und später wird sie an ganz anderen Stellen kleben.
Romantik pur.

Und dann die drei betrunkene Gestalten.
Die haben schon mittags mit dem Bier angefangen
und sind jetzt auf dem Level,
wo man nur noch grölt, taumelt
und sich gegenseitig auf die Schulter kotzt.

Einer hat sich zwischen Achterbahn und Zapfhahn verfangen,
brüllt „Noch eine Runde!“
und meint damit nicht das Karussell.

Die anderen beiden halten sich an den Hüften fest,
als wären sie ein schwankendes Dreiergespann
auf dem Weg ins Paradies.
Oder ins Gebüsch.
Oder beides.

Das Riesenrad dreht sich weiter.

Oben quietschen die Mädchen,
unten sabbern die Herren,
in der Mitte knutschen die Pärchen,
und die Betrunkenen singen irgendwas von „Sweet Caroline“.

Alle sind sie auf ihre Weise geil –
auf Zuckerwatte, auf Minirock, auf Liebe, auf Bier.

Und keiner gibt es zu.

Typisch deutscher Jahrmarkt.
Typisch Mai.
Typisch geil.

Bleiben Sie anständig, moralisch und sauber –
und grüßen Sie mir alle, die Sie barfuß treffen.

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