Sehen

kaltes Laken

Gernot Schwarm

Der Wecker piept um sieben,
aber ich liege schon seit fünf wach,
starre an die Decke
und warte auf das Klingeln,
das nie kommt.

Dein Platz neben mir ist eine Mulde aus Kälte,
das Laken glatt und unberührt,
als hätte nie jemand darin gelegen.

Ich taste mit der Hand hinüber –
nichts.

Nur der Duft von Lavendelwaschmittel,
der sich langsam verflüchtigt.

Ich habe dich angerufen, gestern Nacht,
dreimal, viermal,
bis die Mailbox ansprang
und deine Stimme sagte:
„Hinterlassen Sie eine Nachricht.“

Ich habe gebettelt, geflüstert, geflucht.

„Komm her, bitte, nur heute.“

Aber du bist nicht gekommen.

Das Laken blieb leer und kalt,
ein weißes Grabtuch für das, was wir waren.

Erinnerungen prasseln ein wie Hagel auf Blech.

Damals, vor einem Jahr,
als ich dich betrog.

Mit dieser Kollegin aus der Buchhaltung,
deren Lachen wie billiger Sekt sprudelte.

Es war nichts, sagte ich mir,
nur ein Ausrutscher nach zu viel Bier
und zu wenig Verstand.

Du hast es erfahren,
durch eine blöde SMS,
die ich versehentlich an dich schickte.

Dein Gesicht, als du die Tür zuschlug –
das war der Moment,
in dem ich kapierte,
wie dumm ich war.

Unvernunft, pure, rohe Dummheit.

Ich dachte, Freiheit sei ein Abenteuer,
ein Sprung ins Unbekannte.

Stattdessen war es ein Fall in die Leere.

Du warst das Beste, was mir je widerfahren ist:
deine Art, morgens Kaffee zu kochen,
ohne ein Wort,
nur mit diesem Lächeln,
das die Welt hell machte.

Deine Hände, die nicht nur berührten,
sondern hielten,
als wärst du der Anker in meinem Chaos.

Heute sehe ich klar,
durch den Nebel der Reue.

Das Bett ist zu groß für einen,
die Nächte zu lang.

Ich liege da,
starre auf das leere Laken
und stelle mir vor,
wie du darin liegst,
warm und nah.

Dein Atem an meinem Hals,
deine Finger in meinen Haaren.

Ich habe alles vermasselt, ja.

Aber Reue ist ein scharfer Lehrer;
sie schneidet tief,
bis man blutet und lernt.

Ich gebe die Hoffnung nicht auf.

Nicht jetzt,
nicht nach all den Nächten,
in denen ich allein dalag
und mir wünschte,
die Zeit zurückzudrehen.

Nur eine Chance noch,
mehr brauche ich nicht.

Eine Nacht, um zu beweisen,
dass ich gelernt habe.

Dass Liebe kein Spiel ist,
sondern ein Versprechen,
das man hält,
auch wenn der Sturm tobt.

Ich stehe auf,
falte das Laken sorgfältig,
als könnte ich damit die Falten der Vergangenheit glätten.

Rufe dich an, wieder.

„Komm zurück“,
flüstere ich in den Hörer.

„Das Laken wartet.“

Vielleicht hörst du es diesmal.

Vielleicht nicht.

Aber ich warte.

Auf dich, auf uns.

Denn ohne dich ist alles leer –
das Bett, das Leben, ich.

Bleiben Sie anständig, moralisch und sauber
und grüßen Sie mir alle, die Sie barfuß treffen.

Zugriffe gesamt: 77