Sehen

Keine schönen Gesichter in der Großstadt

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Greifbar nah, das Leben –
aufschauen, sehen.

Stadt,
überfüllte Straßen wie im Kaufhaus.

Pulsierend,
wie ein Blutstrom –
mittendrin.

Sehen –
die eiligen Schritte, unhörbar.

Fast nur Gesichter die alltagsgezeichnet sind,
und keiner sieht den anderen.

Fremd,
jeder gegen jeden,
jeder hat zu tun.

Sehen –
ich bleib stehen –
alles läuft weiter.

Erst noch all die Gesichter ohne Ausdruck.

Ich sehe sie an:

Ein Mann mit Aktentasche,
läuft eilig an mir vorbei,
streift mich fast mit seiner Schulter.

Er sieht niemanden,
nur den Weg den er vor sich hat.

Ein Jugendlicher,
kurze Haare wie ich es nicht ausstehen kann,
weil es mich an den Haarschnitt erinnert,
den ich als Junge tragen mußte,
weil mein Vater das so wollte –
dabei waren doch lange Haare längst schon modern!

Dieser Jugendliche schaut nur auf sein Handy,
scheinbar ohne jegliche Bedenken,
daß er irgendwo anstoßen, stolpern oder gegenlaufen könnte.

Er macht ein mürrisches Gesicht.

Eine alte Dame mit Tragetaschen rechts und links an den Händen,
wohl vom Einkauf.

Auch sie macht ein mürrisches,
ja sogar ein gequältes Gesicht
und sieht niemanden an,
nimmt offenbar niemanden wahr.

Eine junge Dame,
elegant gekleidet,
in einem luftigen Sommerkleid –
es ist ja sonniger Sommer.

Sie findet sich offensichtlich hübsch,
weil sie es auch ist,
und trägt eine sehr selbstsichere Miene zur Schau,
schaut aber auch niemanden an,
sondern stolziert inmitten der Menschenmenge,
die sich hier in der Fußgängerzone der City bewegt,
stolz einher.

Vielleicht hat sie ja ein pikantes Date gerade vor sich.

Ein Mann mittleren Alters in einer schwarzen Soutane.

Natürlich ein Priester.

Doch auch er geht schnellen Schrittes durch die Menge
und sieht niemanden,
schaut auch auf niemanden.

Ein Ehepaar,
oder einfach nur ein Mann und eine Frau –,
eingehakt dabei
und fröhlich miteinander plaudernd,
sehen keinen anderen Menschen,
und werden auch von keinem anderen Menschen wahrgenommen.

Dann schließ ich innerlich die Augen.

Bis mir der kleine Tagtraum kommt,
für kurz.

Der mir zeigt,
wie Menschen Menschen sehen.

Wie der eine dem anderen Fragen stellt.

Nach dem was bewegt,
was bedrückt –
sie sehen.

Keinen Schritt weiter,
ich bleib stehen.

Schaue auf,
sehe, wie es weiter geht.

Es gehen die Menschen,
weiter, wie zuvor.

Keiner sieht den anderen,
jeder geht für sich.

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