Sehen

Lied der Vergänglichkeit

Gernot Schwarm

Am Rande eines Dorfes, wo der Fluss breit und still dahinfließt,
hängen Apfelbäume schwer unter dem Regen des Herbstes.
Eine alte Eiche steht, Wurzeln tief im weichen Boden,
dort verabschieden sie sich,
während der Himmel grau die Sterne verhüllt.

Der Fluss flüstert von Momenten,
die kommen und gehen, wie Blätter,
die im Strom treiben, ohne Halt.

Ihr Haar ist geschmückt mit Fliederblüten,
deren Duft an Abende erinnert, wo sie lachten,
die Welt klein und nah.

Er trägt das Hemd,
das ihre Hände nähten,
abgenutzt von Arbeit, von Gewittern,
die über Felder zogen, längst vergangen.

Er spricht: „Wir überwinden die Zeit, mein Schatz.“
Sein Grinsen will die Welt halten,
als könnten Worte den Fluss bändigen.

Seine Hand, noch warm von ihrer Nähe,
hebt sich, während Vögel in den Ästen singen,
ein letztes Lied, als wollten sie glauben.

Doch in ihren Augen liegt ein Schleier,
zarter als der Nebel, der den Fluss umarmt.
Ein Murmeln steigt aus dem Wasser: Nie wieder so wie früher.

Unsichtbare Strömungen ziehen ihre Herzen auseinander,
die Zeit ist kein Gegner, sondern der Fluss selbst,
der alles mit sich nimmt, lautlos, unerbittlich.

Aber junge Männer hören nicht das,
was Frauen schweigend verkünden.
Hoffnung ist ein männliches Kind,
das allzu gern den eigenen Träumen vertraut.

Jahre später, auf einem Wochenmarkt,
wo Regen die Stände in Matsch verwandelt,
treffen sie sich wieder.

Ein Nicken, höflich, wie Fremde,
die sich in einem Traum begegnet sind,
verblassend, fast vergessen.

Ihre Hände greifen nach demselben Apfel,
doch die Berührung ist kalt, ohne Echo.

Die Eiche steht noch,
doch die Fliederblüten sind verwelkt,
ihre Farben zu Staub zerfallen.

Der Fluss lächelt still,
trägt die Hoffnungen fort,
die einst an seinen Ufern wuchsen.

Kein Wort bleibt, kein Blick hält,
nur das Rauschen, das alles umschließt,
ein leises Lied von Vergänglichkeit.

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