Sehen
Literatur & Doping
Morgens, wenn der Wecker noch pennt
und der Schwanz schon strammsteht wie ein Rekrut vor dem Feldwebel,
beginne ich mein Training.
Nicht mit Liegestützen oder Proteinshakes –
nein, ich trainiere das einzige Organ, das wirklich zählt: das Hirn.
Lyrik ist mein Frühsport,
Reim mein Hantelstemmen,
Metapher mein Bizeps-Curl.
Ich stemme Zeilen,
bis die Synapsen glühen,
bis der Gedankenmuskel brennt
und sich aufpumpt wie ein Bodybuilder vor dem Spiegel.
Jeder Vers ein Satz,
jeder Strophenwechsel ein neuer Satz Ironie,
bis das Gedicht keucht und schwitzt.
Aber irgendwann kommt sie,
die Frage, die jeder Athlet kennt:
Kann man das auch literarisch dopen?
Gibt es ein Viagra für die Muse,
ein Anabolikum für den Geist?
Klar gibt’s das.
Man nennt es nur anders.
Bei den alten Griechen war es Absinth und kleine Jungs,
bei Rimbaud Verlaine und Laudanum,
bei uns heute drei Espresso,
zwei Stunden Pornos
und ein Schuss Größenwahn.
Manche schlucken ganze Bibliotheken,
andere lassen sich von Groupies den Stift führen –
Hauptsache der Output stimmt.
Der Geist wird prall,
die Zeile hart,
das Ego größer als der Reichstag.
Ich hab’s versucht.
Einmal hab ich mir vor dem Schreiben einen runtergehauen,
um den Kopf freizubekommen.
Ergebnis: ein Gedichtband namens
„Oden an meine rechte Hand“,
lyrisch brillant, aber kommerziell tot.
Dann kam die Phase mit den Aufputschmitteln:
Ritalin und Rilke im Wechsel.
Funktioniert.
Man schreibt plötzlich in Hexametern
über die Reinigungskraft,
die einem den Arsch abwischt –
hohe Kunst,
aber man schläft drei Tage nicht
und hält danach Vorträge
über die metaphysische Bedeutung von Klobürsten.
Die ultimative Droge aber ist die Deadline.
Nichts macht den Geist so klar, so scharf, so gnadenlos potent
wie der Gedanke:
Morgen muss das Ding stehen, sonst zahlt keiner.
Dann fliegen die Finger,
die Bilder spritzen nur so aus dem Kopf,
und am Ende hast du ein Gedicht,
das selbst Goethe neidisch machen würde –
oder zumindest so tut, als wäre es Literatur.
Fazit meines Trainings:
Ja, man kann sich literarisch dopen.
Aber wie beim richtigen Sport
zahlt man irgendwann die Rechnung.
Die Muskeln werden schlapp,
die Zeilen schlaff,
und plötzlich merkst du:
Der größte Kick ist immer noch der,
wenn du nüchtern, geil und ohne Netz
ein Gedicht hinrotzt,
das morgen früh noch steht –
hart, stolz und ohne Reue.