Sehen

Lustmolche mit grauem Haar

Luiz Goldberg

Stell dir vor,
die Abenddämmerung senkt sich über die Stadt,
und aus den Schatten der Vororte schleichen sie heran –
diese greisen Lustmolche,
deren Haar schon ergraut ist
wie der Schnee auf vergessenen Gräbern.

Sie haben die Jahre im Nacken,
die Knochen knacken bei jedem Schritt,
doch in ihren Adern pulsiert ein Feuer,
das nicht erlöschen will.

Viagra, dieses blaue Wundermittel der Moderne,
hat sie wieder auferstehen lassen.

Kein Zögern mehr,
kein langsames Verwelken im Sessel vor dem Fernseher.

Stattdessen recken sie drohend ihre Phallusse gen Himmel,
als wollten sie dem Alter selbst den Mittelfinger zeigen.

Ja, sie sind gedopt,
hochgedrückt auf chemische Höhen,
wo die Jugend nur ein ferner Traum war.

Sie fallen ein in das Bordell,
diese Oasen der käuflichen Liebe,
wo Neonlichter flackern
und der Duft von Parfüm und Verlangen die Luft durchdringt.

Die Türen schwingen auf,
und herein stürmen sie,
ein Rudel alter Wölfe in maßgeschneiderten Anzügen,
die einst teuer waren
und nun von Motten zerfressen.

Ihre Brieftaschen wedeln sie wie Fahnen im Wind –
prall gefüllt mit Renten, Erbschaften
und dem letzten Rest von Stolz.

Geld regiert die Welt,
und hier regiert es die Nacht.

Kein Betteln um Zuneigung,
kein Werben mit Charme, der längst verblasst ist.

Nur das Rascheln von Scheinen,
das die Huren anlockt wie Motten ans Licht.

Und diese Huren –
jung, frisch,
mit Haut wie Seide
und Augen, die alles gesehen haben.

Sie könnten ihre Töchter sein,
Enkelinnen sogar,
geboren in einer Zeit,
als diese Greise noch in den besten Jahren schwelgten.

Die Mädchen lächeln professionell,
kaschieren den Ekel mit rotem Lippenstift,
während die Alten sie vernaschen.

Mit zitternden Händen greifen sie zu,
pressen faltige Lippen auf glatte Brüste,
stoßen in Körper, die straff und einladend sind.

Der Kontrast ist grotesk:
Runzlige Finger auf jugendlichem Fleisch,
keuchender Atem aus Lungen,
die zu viele Zigaretten geraucht haben,
gegen das Stöhnen der Jungen,
das echt oder gespielt ist –
wer weiß das schon?

In den Zimmern mit den samtenen Vorhängen
und den Spiegeln an der Decke
entfaltet sich das Schauspiel.

Der eine Opa, ehemaliger Banker,
der einst Firmen ruiniert hat,
ruiniert nun seine letzte Würde.

Er pumpt sich hoch mit Pillen,
die das Herz rasen lassen,
und rammt sich in eine Polin,
die kaum älter ist als seine Enkelin.

„Mehr, Opa, mehr!“, flüstert sie,
weil der Zähler läuft.

Nebenan ein Rentner aus der Arbeiterklasse,
der sein Leben lang geschuftet hat,
nun endlich belohnt sich mit Luxus,
den er sich nie leisten konnte.

Seine Phallus, künstlich gestärkt,
droht wie ein Relikt aus vergangenen Kriegen,
während die Hure darunter leidet,
aber lacht – für den Aufpreis.

Die Szene ist ein Karneval der Absurdität.

Draußen die Welt der Enkel,
die in Apps swipen
und von Gleichberechtigung träumen.

Drinnen diese Relikte,
die mit Geld kaufen,
was die Zeit ihnen verweigert hat.

Sie wedeln mit der Brieftasche,
als wäre sie ein Zauberstab,
der Jugend herbeiruft.

Und die Huren, diese Kinder ihrer Kinder,
lassen es geschehen.

Sie spreizen die Beine,
nehmen die Greise auf,
saugen das Leben aus ihnen –
oder was davon übrig ist.

Viagra macht Helden aus Verlierern,
doch am Morgen wacht der Alte auf,
allein, mit einem Kater
und dem Wissen,
dass der Phallus wieder schrumpfen wird.

Ist das der Höhepunkt des Lebens?

Diese Invasion in die Bordelle,
wo Generationen kollidieren?

Die Lustmolche siegen kurz,
fallen dann in den Schlaf der Erschöpfung.

Die Huren zählen das Geld,
waschen sich den Schweiß ab
und warten auf den Nächsten.

Graues Haar auf weißen Laken,
gedopt und doch besiegt vom Alter.

Sie recken sich gen Himmel,
doch der Himmel lacht nur.

Denn am Ende vernaschen sie nicht die Huren –
die Huren vernaschen sie,
Stück für Stück, Schein für Schein.

Und doch, in dieser Groteske steckt eine bittere Wahrheit:
Der Mensch klammert sich an die Lust,
egal wie alt, egal wie lächerlich.

Die Bordellboys mit grauem Haar sind wir alle –
irgendwann.

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