Sehen

mechanische Zärtlichkeiten

Peter Muschke

Wenn du mir liebevoll den Rücken streichelst,
doch deine Gedanken in ferne Welten gleiten,
spüre ich,
wie die Berührung zur bloßen Gewohnheit wird.

Dein Finger kreist nur noch auf einem winzigen Stück Haut,
ein monotones Hin und Her,
das nichts mehr von der Wärme hat,
die es einst versprach.

Und ich liege da,
der Körper gespannt wie eine Saite,
die niemand mehr zum Klingen bringt.

Einerseits fluche ich innerlich,
weil diese Streicheleinheiten zu einer leeren Hülle verkommen sind –
kein Feuer,
kein Funke,
nur mechanische Routine,
die mich kalt lässt.

Andererseits brodelt der Ärger tiefer,
weil deine Gedanken mir verschlossen bleiben
wie ein geheimes Tagebuch.

Was beschäftigt dich?
Eine alte Liebe, die noch nachhallt?
Der Stress des Tages, der dich in Ketten legt?
Oder einfach nur die Leere,
die sich zwischen uns geschlichen hat,
ohne dass wir es merkten?

In solchen Momenten wird die Intimität zur Prüfung.

Der Rücken, der sonst unter deinen Händen erzittert vor Lust,
fühlt sich nun an wie eine Landkarte,
auf der du dich verirrt hast.

Du streichelst, ja,
aber es ist, als würdest du eine Pflicht erfüllen,
ein Ritual ohne Seele.

Ich will mehr als diese oberflächliche Berührung –
ich will deine Präsenz,
deine volle Aufmerksamkeit,
die mich einhüllt wie eine Decke aus Seide.

Stattdessen liegst du neben mir,
der Körper nah,
der Geist meilenweit entfernt.

Und ich beginne zu fluchen,
leise zuerst,
dann lauter in meinem Kopf:
Verdammt, komm zurück zu mir!

Teile mit mir, was in dir vorgeht,
lass mich teilhaben an deinen Träumen oder Ängsten.

Diese verborgenen Gedanken sind wie ein Schleier,
der uns trennt,
obwohl unsere Haut sich berührt.

Denk nur an die kleinen Dinge im Alltag,
die uns verbinden sollen.

Ein gemeinsames Frühstück,
bei dem der Kaffee duftet
und die Blicke sich kreuzen.

Doch wenn du schon morgens abschweifst,
während du die Butter auf das Brot schmierst –
ja, diese unschuldige Margarine,
die plötzlich so viel mehr bedeuten könnte –,
dann wird aus Zärtlichkeit Distanz.

Dein Finger auf meinem Rücken mirror das:
Ein Kreisen ohne Ziel,
ein Streicheln ohne Echo.

Ich fluche, weil es wehtut,
diese Halbherzigkeit zu spüren.

Der Körper sehnt sich nach Vollendung,
nach dem Moment,
in dem Berührung zur Brücke wird,
nicht zur Mauer.

Einerseits hasse ich diese mechanische Geste,
die mich wie ein Objekt behandelt,
ein Stück Fleisch, das man pflichtbewusst knetet.

Andererseits schmerzt die Unsichtbarkeit deiner Inneren Welt am meisten –
als wärst du ein Fremder in unserem Bett,
der nur physisch anwesend ist.

Aber lass uns ehrlich sein:
Solche Abschweifungen sind menschlich.

Wer hat nicht schon einmal daneben gelegen,
der Kopf voll mit Rechnungen,
Erinnerungen oder Fantasien?

Doch in der Liebe fordern sie ihren Tribut.

Dein Finger, der hin und her gleitet,
wird zum Symbol für all die ungesagten Worte.

Ich will nicht fluchen müssen;
ich will dich spüren, ganz.

Vielleicht ist das der Schlüssel:
Sprich es aus, was dich beschäftigt.

Lass den Finger wandern,
aber mit Absicht,
mit Leidenschaft.

Streichle nicht nur die Haut,
sondern die Seele darunter.

Dann wird aus dem Fluch ein Seufzen,
aus der Mechanik pure Ekstase.

Denn wahre Intimität beginnt dort,
wo Gedanken geteilt werden,
nicht verborgen.

Und wenn du wieder abschweifst,
nun, dann greife ich nach deiner Hand,
ziehe sie tiefer,
und zeige dir,
wie man wirklich berührt –
mit dem ganzen Wesen,
nicht nur mit der Hülle.

In der Stille danach,
wenn der Fluch verstummt ist,
könnte alles neu beginnen.

Dein Rücken unter meinen Fingern,
meine Gedanken offen wie ein Buch.

Kein Hin und Her mehr,
sondern ein Tanz, der uns beide trägt.

Denn Liebe ist kein mechanisches Streicheln;
sie ist das Teilen des Unsichtbaren,
das uns eint.

Und wenn du das verstehst,
wird kein Fleck mehr klein bleiben –
die ganze Welt öffnet sich unter unseren Händen.

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