Sehen

Melanie

Jan-Josef Markwort

Die Stadt brüllte wie ein Betrunkener in der Kneipe,
Hamburg, mit seinen nassen Straßen und dem Gestank nach Fisch und Bier.
Ich saß in der Eckkneipe, wo die Gläser klirrten,
und mein Herz schlug wie ein rostiger Motor,
Melanie, ihr Name wie ein Schluck billiger Schnaps,
der dir die Kehle rau macht, aber wärmt.

Ich schrieb ihn auf eine Serviette im „Zum Anker“,
wo sie immer ihren Tee trank, zwei Stück Zucker,
nie mehr, nie weniger,
ihre Finger zart um die Tasse,
als könnten sie die Welt halten, ohne sie zu zerbrechen.
„Melanie, ich liebe dich“, murmelte ich in mein Glas,
der Barkeeper, Klaus, mit seinem grauen Schnauzer,
sah mich an, als wär ich ein verlorener Hund.

Auf dem Gehweg vor ihrer Wohnung in Altona,
kritzelte ich es mit Kreide,
bis der Regen kam, dieser verdammte Hamburger Regen,
der alles wegspült, was man sich traut zu sagen.
In der Nacht, nach zu viel Pils,
brüllte ich ihren Namen in die Gassen,
die Straßenlaterne flackerte,
als ob sie mit mir lachte,
oder mich auslachte, was weiß ich.

Ich sah sie im Bus, Linie 112,
ihre Nase in einem zerfledderten Buch,
irgendwas von Hesse, wahrscheinlich,
und mit dem Finger schrieb ich „Melanie“
auf die beschlagene Scheibe,
mein Atem heiß, meine Hände kalt.
Der Wind in den Elbauen trug ihren Namen,
als ich ihn flüsterte, barfuß im Sand,
wo wir mal liefen, sie lachte,
ihre Haare wie Sonnenlicht, das durch die Wolken bricht.

Ich rief es in den Hörer, nachts,
bis die Leitung tot war, nur Rauschen,
wie das Leben selbst, wenn du’s genau nimmst.
In den Träumen, wenn der Mond zu hell war,
sah ich sie, Melanie, tanzend in meinem Kopf,
ihre Stimme wie ein Lied, das du kennst,
aber nie ganz singen kannst.

Einmal, als sie schlief,
schrieb ich ihren Namen auf ihren Rücken,
mit einem alten Kugelschreiber,
sie kicherte, „Hör auf, Hans, das kitzelt“,
und ich grinste, weil sie meinen Namen sagte,
als würde er was bedeuten.

Die Stadt war ein Chaos,
Hupen, Schritte, das Kreischen der Möwen am Hafen,
aber meine Liebe war lauter,
ein Schrei in den Himmel,
der niemandem was bedeutete,
außer mir.

Ich saß im Park, Planten un Blomen,
die Tauben gurrten, als wollten sie was sagen,
und ich schnitzte „Melanie“ in die Bank,
mit meinem Taschenmesser,
bis ein Bulle vorbeikam und mich anfunkelte.
Ich trank weiter, schrieb weiter, liebte weiter,
in den Kneipen von St. Pauli,
in den Gassen von Eimsbüttel,
auf den Brücken über die Elbe.

Melanie.
Ihr Name war mein Gedicht,
mein Fluch, mein verdammter Lebenssinn.
Die Welt drehte sich weiter,
die Schiffe hupten im Hafen,
die Leute rannten ihren Träumen hinterher,
aber ich stand still,
mit ihrem Namen in meiner Kehle,
wie ein Stein, der nicht runtergeht.

Ich sah sie gestern,
in der Schlange beim Bäcker,
sie kaufte Brötchen, lächelte dem Kassierer zu,
und ich stand da,
mein Herz ein alter Boxsack,
zerschlagen, aber immer noch schwingend.
„Melanie“, flüsterte ich,
und der Wind trug es weg,
wie alles, was ich je für sie schrieb.

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