Sehen

Metamorphose

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Sie gehörten einander.  
Seit über zweiundzwanzig Jahren
waren sie Gefährten eines gemeinsamen Lebensweges.  

Ein verliebtes Paar,  
ein Liebespaar,  
ein Ehepaar.  
Mann und Frau.  

Die große Energie ihres gemeinsamen Lebens war ihre Liebe zueinander.  

In der ersten Zeit der flammenden Verliebtheit  
war ihre Liebe wie eine hüpfende Fee  
die ständig Hurra schrie,  
und ihre Sexualität war geprägt von Neugier und Überraschungen –;  
sie erkundeten ihre Körper,  
schliefen täglich miteinander  
und freuten sich dabei wie Kinder bei ihrem Lieblingsspiel.  

Dieses Spiel begleitete sie durch all die Jahre ihres Zusammenseins,  
ob in Zeiten von Unbeschwertheit,  
oder solchen, in denen angespannte Mühen vorherrschend waren –;  
dieses Spiel spielten sie immer gern.  

Selbst in den außergewöhnlichen Zeiten  
die eine Schwangerschaft mit sich bringt.  

Im Verlauf der Jahre nahm die Häufigkeit etwas ab –;  
vielleicht durch die Anforderungen ihrer anwachsenden Familie  
und die ihrer Berufe,  
aber das Glücklichsein verwehrten sie sich dadurch nicht.  

Nur wurde die Mühsal des Alltags und der berufliche Streß  
mehr und mehr beschwerlich  
und die Kindererziehung zehrte an ihren Gemütern  
und entzogen ihnen einen Großteil ihrer Energien.  

Für das Spiel der Liebe aber,  
nahmen sie sich weiterhin Zeit.  

Irgendwann aber,  
schlich sich langsam, zunehmend und unmerklich,  
etwas darin ein,  
das zunächst kaum Beachtung fand:  
das Spiel der Liebe wurde vereinfacht.  

Als wären der Mühen des Alltags schon allzuviel,  
so richteten sie die Häufigkeit,  
sowie die äußeren Bedingungen ihrer Liebesspiele darauf ein,  
und reduzierten deren Varianten mit dem entsprechenden Aufwand.  

Auch der Ort und der Zeitpunkt für ihr geliebtes Lieblingsspiel  
pendelte sich der Einfachheit halber  
in für beide überschaubarer und fest gefügter Verbindlichkeit ein,  
und Gespräche darüber wurden seltener  
und entbehrten vor allem Neues und Phantasievolles.  

Die Jahre vergingen  
und ihr gemeinsames Glück blieb ihnen treu,  
der Geist des Eros schwebte weiterhin über das Liebespaar  
und der Zeitgeist lief mit.  

Beide versicherten sich gegenseitig einer beständigen Zufriedenheit –  
und dennoch schien etwas zu fehlen,  
dennoch herrschte ein unterschwelliger, unausgesprochener Mangel an –,  
ja, was war es eigentlich genau?  

Und wer von beiden spürte es zuerst –,  
wer spürte es deutlich – stärker werden...?

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