Sehen
Mit sechsundneunzig Jahren
Man sagt, das Leben sei ein Tanz,
und wahrlich.
Peter Krawutschke,
aus dem ersten Stock,
unser Protagonist hier,
tanzte bis zur letzten Sekunde.
Mit sechsundneunzig Jahren,
gebrechlich wie ein Herbstblatt,
aber mit einem Funkeln in den Augen,
das selbst den Tod kurz stutzen ließ.
Er verabschiedete sich nicht
mit einem leisen Seufzer im Krankenbett,
sondern mit einem finalen Akt der Leidenschaft –
in den Armen einer Frau,
die für eine Nacht seine Welt war.
Ein Lächeln auf den Lippen,
das Herz noch warm von der Umarmung,
so glitt er in die Ewigkeit.
Doch während er seinen Abgang feierte,
stand die Dame des Abends vor einem Dilemma.
Wie erklärt man der Polizei,
dass ein Kunde nicht nur die Rechnung,
sondern auch sein Leben bei einem bezahlt hat?
„Herr Kommissar,
er war quicklebendig,
bis er plötzlich… dem Leben Adieu sagte.“
Und die Familie?
Wie erzählt man den Enkeln,
dass Opa nicht beim Schachspiel,
sondern bei einem ganz anderen Spiel
das Zeitliche segnete?
Peinlich, gewiss,
aber irgendwie auch bewundernswert.
Stellen Sie sich vor:
Ein Mann,
der mit fast einem Jahrhundert auf dem Buckel
dem Leben die Zunge rausstreckt
und sagt:
„Ich lebe, bis ich falle!“
Kein Kaffeekränzchen mit Todesangst,
kein Warten auf das Ende –
nur ein letzter, kühner Schritt über die Schwelle.
Vielleicht sollten wir alle
etwas von diesem Mut lernen.
Nicht, dass wir nun alle
in Bordellen unser Finale suchen sollen,
aber ein bisschen mehr Wagemut,
ein bisschen mehr Lust am Leben,
das könnte uns guttun.
Der Tod kam spät,
aber er kam.
Und unser Held?
Er ging mit einem Lachen.
Möge sein Abgang uns erinnern:
Das Leben ist kein Wartezimmer.
Also tanzen Sie,
lieben Sie,
leben Sie –
und wenn Sie schon gehen müssen,
dann mit einem Lächeln
in den Armen einer rothaarigen Nutte aus Moabit.
Und an die Damenwelt:
Es gibt auch Gigolos.
Die fürchten weder Tod noch alte Frauen.
Nur das Testament,
in dem sie übergangen werden.