Sehen

Mit wem gehe ich?

Ronald Schaller

Es ist dir sichtlich unangenehm, wenn Worte frei
In Öffentlichkeit erklingen, kühn und ungeweiht.
Die Sprache, die ich wähle, offen, roh und klar,
Verstört dein Herz, dein Blick wird kalt, so sonderbar.
Ein Satz von Lust, von Fleisch, von Sehnsucht, leis gesproch’n,
Lässt deine Stirne sich in Falten tief zerbroch’n.
Dein Auge trifft mich hart, ein strafender Moment,
Als hätt’ ich eine Grenze überschritt, verbrennt.
„Benimm dich endlich!“, zischt dein Mund, so scharf, so streng,
Die Luft wird schwer, die Welt um uns ein enger Zwang.
Die Menschen strömen weiter, blind für unser Sein,
Doch deine Kälte schneidet tief in mich hinein.
Was hab’ ich dir getan, dass du so spröde bist?
Dein Blick ein Richter, der die Freiheit schnell vergisst.
Ich frage mich, in welchem Käfig du verweilst,
Wo Worte ketten schmiedest, die das Herz enteilst.
Mit wem bin ich vereint, mit welcher Seele hier?
Ein Schatten von Verklemmung trennt dich still von mir.
Die Straße summt, die Welt dreht sich, doch du bist stumm,
Dein Schweigen wie ein Vorwurf, schwer und kalt und dumm.
Die Lust, die ich erwähne, ist kein Schmutz, kein Schein,
Sie ist des Lebens Puls, so rein, so groß, so mein.
Doch du verschließt die Tür, die Seele zugemauert,
Dein Blick ein stummer Ruf, der Freiheit längst erschauert.
Was bindet uns, wenn du die Worte scheust, die klingen?
Wenn Liebe nur im Stillen darf, im Dunkel singen?
Ich steh’ allein im Licht der Stadt, die niemals schläft,
Dein Schweigen wie ein Stein, der auf mein Herz sich häuft.
Die Öffentlichkeit ein Raum, der Freiheit uns verleiht,
Doch du willst Ketten schmieden, wo die Seele schreit.
Mit wem bin ich vereint, mit welcher starren Macht?
Die Liebe will das Licht, nicht nur die dunkle Nacht.
Dein Blick, dein Wort, dein Zorn, sie drücken mich herab,
Doch meine Stimme lebt, erhebt sich wie ein Stab.
Ich frage mich, wie lange ich dies Schweigen trag’,
Mit wem ich wirklich geh’, in diesem fremden Tag.
Die Welt ist weit, die Lust ist frei, die Worte klar,
Doch du bist fern, verklemmt, ein Rätsel, sonderbar.
Mit welcher Seele teile ich dies Leben, diesen Raum?
Ein Schatten oder Licht? Ein Käfig oder Traum?
Die Straße ruft, die Welt ist laut, ich bleibe hier,
Und frage mich, mit wem ich gehe – neben dir.

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