Sehen
Rosarot, der Himmel so blau
Über Treue nachzudenken war mir nicht so recht gegeben.
Eine innere Verweigerung war es,
die das verhinderte.
Was auch war Treue?
Soll ich die Frage aufwerfen „Wer gehört wem?“
Ich fand es schon immer äußerst fragwürdig,
wenn ich so Sätze hörte wie
„Ich gehöre Dir allein!“,
oder
„Ich habe nur noch Augen für Dich!“
Treue zur Partnerin,
Treue zum Partner –,
das ist zunächst ein Wollen.
Ein Wollen in einem Zustand
der nicht haltbar ist.
Und wenn sich dieses Wollen zunächst durchgesetzt hat,
und sich haltbar machen will,
dann kommen mit Sicherheit diese Tage,
an denen sich die Zweifel melden.
Vehement.
Die kommen wie der Herbst nach dem Sommer.
Und hier fängt das Nachdenken an,
über das Wort „Treue“ –,
was mir so schwerfällt.
Warum eigentlich?
Weil´s mir so unaufrichtig vorkommt.
Treue ist ein Versprechen –;
die selbstverständlichste Voraussetzung
einer jeden Liebesbeziehung.
Wohl aufrichtig gemeint –
in diesen, ersten Tagen.
Ja, ich kenne das zur Genüge.
Ich schwur wie Millionen anderer Liebhaber
den Treueschwur.
Ich war wie Millionen anderer
ebenso fest davon überzeugt,
daß es ein bleibender Zustand ist.
Treue zu seiner Liebsten,
seiner Liebsten treu sein –
ha, das habe ich mir so gedacht.
Ohne über den Faktor Zeit nachzudenken.
Über den Faktor Leben.
Und:
kann ich mir selber treu sein?
Hellgelb sind die schwarzen Vögel
die über mir kreisen –
es sind Raben –
es ist der Gedanke an Treue,
eine gestellte Frage,
ein immerwährendes Rätsel
von Treu-sein-wollen,
-sollen,
-müssen,
-können.
Es setzt sich einer dieser schwarzen Vögel herab,
auf meine linke Schulter.
Die Türen der Kammern meines Herzens öffnen sich,
und kleine bunte Schlangen winden sich heraus.
Es sind alles die Besitz-Ergreifer,
und die Sich-Selbst-gehörer –
einander bekämpfend.
Es sind Anker mit eisernen Ketten,
Kraken mit ihren Fangarmen und Saugnäpfen.
Sie spielen keine schönen Fesselungsspiele,
nein!
Treue ist kein edles Metall,
kein Gold!
Es ist ein eisernes Erz,
das nur glänzt,
zwischen brüchiger Schlacke und Gestein.
So liege ich auf der kalten Erde,
den Blick zum Himmel empor –,
aber der Rabe sitzt mir auf der Stirn
und hackt mir gleichgültig die Augen aus.