Sehen

Schere im Kopf

Luiz Goldberg

Nun ja, die Kunst!
Sie hat mir so manches Spektakel beschert.
Krawall in Galerien,
wo Besucher Gläser warfen
und Bilder bespuckten.
Musiker,
die so breit waren,
dass sie vom Takt in die Tischkante fielen.
Schauspieler,
die ihren Text vergaßen
und stattdessen das Publikum anbrüllten.
Maler,
die sich – zumindest sagt man’s –
die Ohren absäbelten,
um ein Statement zu setzen.
Gutmeinende Zensoren,
die mit erhobenem Zeigefinger
Kunst zur Moralpredigt machten,
und dummdreiste,
die einfach alles verbieten wollten.
Groupies,
die sich an Künstler ranschmissen,
aber nicht mal den Rock lupften.
Autoren,
die schamlos klauten,
als wär’s ihr Job.
Doch nichts,
absolut nichts,
lässt meine Verachtung so aufflammen
wie diese feigen Gestalten,
die mit eingekniffenem Hintern
die Zensur im Kopf akzeptieren.
Ein Künstler,
der sich selbst die Flügel stutzt,
bevor er überhaupt fliegt.
Der seine Ideen runterschluckt,
weil sie „zu viel“ sein könnten.
Der mit jedem Pinselstrich,
jedem Satz,
jedem Ton überlegt:
„Was sagt wohl der Verleger,
die Masse,
die Moralpolizei?“
Diese Typen,
die sich die Schere im Schädel installieren lassen,
als wär’s ’ne App,
die sie sicher durchs Leben lotst.
Sie schaffen Kunst,
die so zahm ist,
dass sie in jede Amtsstube passt,
in jede Wohnzimmer-Ecke,
wo sie niemanden stört.
Kein Aufschrei,
kein Skandal,
nur lauwarme Pappe,
die nach Sicherheitsabstand riecht.
Was treibt diese Memmen an?
Angst vor’m Shitstorm?
Der Wunsch,
von allen geliebt zu werden?
Oder einfach die pure Feigheit,
die ihnen flüstert:
„Pass dich an,
sonst bist du raus“?
Sie sehen die Chaoten in den Galerien,
die betrunkenen Musiker,
die frechen Plagiatoren,
und statt sich inspirieren zu lassen,
ziehen sie den Schwanz ein.
Während die echten Künstler
die Welt anstupsen,
aufreißen,
zerfetzen,
kuschen diese Schisser
vor der kleinsten Kritik.
Ihre Werke?
So steril wie ein OP-Saal,
so spannend wie ein Steuerbescheid.
Die Ironie?
Die Welt liebt die Rebellen,
die Freaks,
die Ohr-Abschneider.
Die, die sich trauen,
die Schere im Kopf zu zerbrechen
und etwas zu schaffen,
das wehtut,
provoziert,
lebt.
Aber die Feiglinge?
Sie bleiben Deko,
Fußnoten,
vergessen,
bevor sie überhaupt bemerkt werden.
Darum.
Lieber ein Skandal als ein Schweigen.
Lieber ein Aufschrei als ein Nicken.
Zensur ist der Tod der Kunst,
und wer sie akzeptiert,
hat schon verloren.
Also reißt euch los,
malt,
schreibt,
singt,
was euch durch den Kopf jagt –
und scheißt auf die Schere.

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