Sehen
Schicksal = Sündenbock
Ich bin der Typ,
den man anschaut,
wenn die Kacke am Dampfen ist.
Egal ob im Büro die Kaffeemaschine explodiert,
die Nachbarin ihren Köter vermisst
oder im Fußballverein wieder mal jemand die Kasse geleert hat,
sofort fliegen die Blicke zu mir.
„Der war’s bestimmt.“
Als hätte ich ein unsichtbares Schild um den Hals hängen:
„Hier wohnt der Arsch, der immer schuld ist.“
Früher hab ich noch versucht,
mich zu erklären.
„Ich war’s nicht, echt nicht!“ –
hat keinen interessiert.
Die Leute brauchen einen Schuldigen,
und ich bin praktisch:
immer da,
immer auffällig unauffällig,
immer der mit dem Gesicht,
das man sich perfekt für die Anklagebank merken kann.
Selbst wenn ich hundert Kilometer weit weg bin,
wenn irgendwas passiert,
heißt es hinterher:
„Komisch, dass ausgerechnet der nicht da war.“
Manchmal liege ich nachts wach
und stelle mir vor,
wie ich endlich zurückschlage.
Nicht mit Worten –
die prallen eh ab wie Gummibälle an Beton.
Nein, richtig.
Eine fette Bombe unter den Stammtisch,
wo sie gerade wieder über mich lästern.
Peng – und Ruhe.
Oder ich komme mit der Knarre rein,
wie in diesen schlechten Actionfilmen,
und mähe sie alle nieder.
Zack, zack, zack.
Kein „Der war’s“ mehr,
weil niemand mehr da ist,
der’s sagen könnte.
Aber dann kommen die Träume weiter.
Die paar, die überleben,
stehen zwischen den Trümmern,
schauen sich um
und nicken wissend:
„Der war’s. Klar. Wer sonst?“
Selbst wenn ich tausend Alibis hätte,
selbst wenn die Überwachungskamera mich beim Schlafen zeigt –
der Finger zeigt trotzdem auf mich.
Weil Schicksal eben Schicksal ist.
Man kommt nicht raus aus der Rolle.
Der Buhmann bleibt der Buhmann,
auch wenn er die ganze Welt in die Luft jagt.
Deshalb stehe ich morgens auf,
putze mir die Zähne,
lächle freundlich in die Runde
und warte darauf,
dass wieder irgendwas schiefläuft.
Irgendwann wird’s schon passen.
Und wenn nicht –
wenigstens hab ich’s versucht.
Aber wir wissen beide:
Der Finger wird trotzdem auf mich zeigen.
Immer.
Weil das mein verdammtes Schicksal ist.