Sehen

schlechte Komplimente

Charles Haiku

Ach, diese Weiber und ihre Komplimente,
die sich anfühlen wie ein Tritt in die Eier,
nur mit Samthandschuhen verpackt.

Da sitze ich also, Mitte vierzig,
mit einem Bauch, der aussieht,
als hätte ich ein ganzes Fass Bier geschluckt
und es nie wieder rausgelassen,

und sie hält dieses vergilbte Foto aus einer Zeit hoch,
als ich noch dachte,
dass Haarausfall nur alte Männer betrifft
und ein Sixpack etwas war,
das man im Kühlschrank hat, nicht auf dem Bauch.

„Du sahst ja richtig süß aus“, säuselt sie,
und ihre Augen leuchten,
als hätte sie gerade einen frischen Twink neben sich auf dem Sofa entdeckt,
der noch nie einen Kater hatte.

Süß.

Das Wort trifft mich wie ein nasses Handtuch ins Gesicht.

Süß war ich mit zwanzig,
als die Haut straff war,
die Haare noch einigermaßen vollständig
und der Blick in den Spiegel
nicht mit einem stummen
„Scheiße, wann ist das passiert?“ endete.

Heute?

Heute bin ich der Typ,
den man im Supermarkt übersieht,
weil er zwischen den Regalen mit den Light-Produkten verschwindet,
die er kauft, aber nie isst.

Der Typ, dessen Gürtel sich langsam in die Haut einschneidet
wie ein Mahnmal für jede verpasste Sporteinheit.

Der Typ, dessen Bart nicht mehr „lässig grau“ ist,
sondern „als hätte ein Kleinkind mit Asche drin gemalt“.

Und sie meint es ja nicht mal böse.
Das ist das Perfide.

Sie sagt „Du sahst süß aus“
und meint eigentlich:
„Früher hätte ich dir vielleicht noch eine Chance gegeben,
heute würde ich dich höchstens fragen,
ob du mir die schwere Tasche trägst, Opa.“

Es ist das gleiche Prinzip
wie wenn sie sagt
„Du hast ja gar nicht so viel zugenommen“ –
was übersetzt heißt:
„Du bist fett geworden,
aber ich bin zu höflich, es direkt zu sagen.“

Ich lächle dann immer so ein bisschen gequält,
wie ein Mann, der gerade erfahren hat,
dass sein Schwanz nicht mehr „stattlich“,
sondern „historisch“ ist.

Abteilung „Früher war mehr Lametta“.
Neben den alten Polaroids
und dem Plattenspieler, den niemand mehr bedienen kann.

Mittlerweile verstecke ich die alten Fotos.
Nicht aus Scham, nein.
Aus Selbstschutz.

Weil ich keine Lust habe,
wieder dieses Mitleidsleuchten in ihren Augen zu sehen,
wenn sie mein früheres Ich betrachtet –
dieses Ich, das noch dachte,
dass Frauen einem hinterherlaufen,
wenn man nur cool genug tut.

In Wirklichkeit liefen sie schon damals eher weg,
nur war ich zu dämlich, es zu merken.

Heute laufen sie immer noch.
Nur nicht mehr hinter mir her.
Eher vor mir weg,
wenn ich mit meinem Keuchgang und dem schwabbelnden Bauch um die Ecke komme.

Und wenn mal eine stehen bleibt,
dann nur, weil sie denkt,
ich hätte einen Herzinfarkt
und sie müsste den Notarzt rufen.

Aber hey, wenigstens bin ich authentisch.

Keine Filterschnauze, kein Toupet,
kein „Ich war früher Model“-Gelaber.

Ich bin einfach der Typ,
der mal süß war –
und heute das lebende Beispiel dafür,
dass die Zeit gnadenlos ist.

Besonders zu Männern,
die dachten, sie würden ewig jung bleiben.

Und wenn sie das nächste Mal ein altes Foto findet
und sagt „Du sahst ja richtig gut aus“,
dann nicke ich nur noch
und denke:
Ja, Schätzchen.
Das war damals.
Als ich noch Illusionen hatte.

Heute habe ich nur noch Rückenschmerzen
und die leise Hoffnung,
dass wenigstens mein Humor nicht altert.

Aber der wird auch langsam grau.

Trotzdem:
Bleiben Sie anständig, moralisch und sauber –
und grüßen Sie mir alle, die Sie barfuß treffen.

Die hatten nämlich schon immer recht:
Barfuß bleibt man länger jung.

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