Sehen
So ist das Geschäft
Der Bericht in den Zwanzig-Uhr-Nachrichten
begann mit dramatischen Klängen,
der Moderator in schwarzem Anzug
verkündete feierlich,
der Künstler sei ein begnadeter Meister gewesen,
viel zu früh verstorben.
Alte Clips liefen:
er auf Bühnen, mit Pinsel oder Gitarre,
lachend in Interviews.
Ein Manager, grau meliert und in teurem Zwirn,
stand vor der Kamera,
drückte ein Taschentuch ans Auge,
verdrückte eine Träne
und murmelte von unersetzlichem Verlust.
In seinem Kopf rasten Zahlen:
Rechte, Lizenzen, Neuauflagen.
Tote Künstler laufen immer gut,
dachte er,
während er die Kamera anlächelte.
Am nächsten Morgen explodierten die Verkaufszahlen,
Plattenfirmen boten Millionen
für unveröffentlichte Tracks.
Galerien hängten Werke um,
Preisschilder verdoppelten sich über Nacht,
Sammler drängten herein.
Das Auktionshaus kündigte eine Sonderschau an,
Einladungen gingen an Reiche und Berühmte.
Die Witwe, blass in Trauerkleidung,
saß am Küchentisch,
sortierte Skizzen und Briefe,
Anrufe von Verlegern prasselten ein.
Sie unterschrieb Biografie-Verträge,
Vorschüsse landeten auf ihrem Konto,
Tränen mischten sich mit Erleichterung.
Der Manager organisierte die Gedenkfeier
in einem prunkvollen Saal,
Blumenkränze, Reden, Kameras blitzten.
Hinter der Bühne tippte er auf seinem Handy
Provisionen ein,
Streams stiegen in Echtzeit.
Ein Gemälde, früher Staubfänger,
ging für Rekordsumme weg,
Käufer jubelten.
Monate später das Buch:
dick, illustriert,
der Manager auf Lesetour,
signierte Exemplare, Kassen klingelten.
Coverbands tourten mit seinen Hits,
Hallen ausverkauft, Merchandise flog weg.
Die Witwe kaufte ein Anwesen am See,
reiste erster Klasse,
vergaß den Alltagskampf.
Galerien eröffneten Filialen,
Investoren pumpten Geld rein.
Niemand sprach mehr vom echten Leben,
den Nächten im Atelier, den Zweifeln.
Nur Legende blieb, poliert und profitabel.
Der Manager scannte Talente,
wartete auf den nächsten Tod,
der Kreislauf drehte sich weiter,
Scheine stapelten sich in Safes.