Sehen

So kann man Zufrieden sein

Charles Haiku

Ach, die Zufriedenheit,
dieses seltene, wohlige Gefühl,
wenn ein Mann endlich alles im Griff hat,
was zwischen Himmel und Erde wichtig ist.

Nehmen wir doch mal einen,
nennen wir ihn Herbert,
Endeinde fünfzig,
leicht angegraut,
aber nicht mehr lange.

Der saß neulich beim Starfriseur
für Haarimplantate.
Dreitausend Stück,
einzeln eingesetzt,
wie kleine Soldaten der Eitelkeit.

Jetzt glänzt die Platte wieder
wie frisch poliertes Parkett,
und wenn er sich im Rückspiegel
seines nagelneuen 7er BMW betrachtet,
grinst er breit.

Der Zahnarzt hatte ganze Arbeit geleistet:
keramikweiße Beisserchen,
die selbst George Clooney neidisch machen würden.

Kein Wunder,
dass die junge Empfangsdame im Büro
plötzlich kichernd die Augen verdreht,
wenn Herbert mit seinem frischen Wolfsgrinsen vorbeistolziert.

In der obersten Schublade
seines Chefschreibtisches,
natürlich Mahagoni,
natürlich abschließbar,
liegt eine blaue Schachtel
mit hundert kleinen Rettern der Männlichkeit.

Viagra, original,
keine billige Thai-Kopie.

Herbert nimmt sie nicht aus purer Lebensfreude.
Warum nur halb steif,
wenn man voll auf Anschlag kann?

Dreißig Minuten Wartezeit,
ein Schluck Wasser,
und schon steht der alte Freund
wie eine Eins.

Zuverlässig,
hart,
ausdauernd.

Herbert nennt ihn liebevoll
„den Vorstandsvorsitzenden“.
Der meldet sich pünktlich zur Vorstandssitzung,
wenn’s drauf ankommt.

Und dann ist da noch sie.
Seine ganz private Nutte.
Keine von der Straße, nein, nein.
Eine echte Perle.

Fünfundzwanzig,
schlank,
Brüste wie frisch modellierte Silikonkugeln,
Haut wie Seide,
Lippen, die alles versprechen
und alles halten.

Für eine hübsche vierstellige Summe im Monat
gehört sie ihm allein.
Exklusivvertrag, sozusagen.

Kein Zuhälter,
keine Kollegen,
keine Überraschungen.

Sie wartet in der Penthouse-Wohnung,
die er extra für sie angemietet hat,
in Dessous,
die weniger Stoff haben als ein Taschentuch.

Wenn Herbert kommt,
riecht es nach teurem Parfüm
und frischem Kaffee.

Sie kniet sich hin,
schaut mit diesen großen Rehaugen hoch
und flüstert:
„Na, Chef, stresst dich die Börse wieder?“

Und dann legt sie los.
Professionell,
leidenschaftlich,
als wäre sie wirklich verliebt.

Herbert liebt das.
Er liebt es, wenn sie stöhnt,
als würde sie kommen,
obwohl sie wahrscheinlich an den nächsten Schuhkauf denkt.

Er liebt es, wenn sie „Härter, Papa!“ schreit,
während er sie von hinten nimmt
und dabei an die Quartalszahlen denkt.

Die halbe Stadt beneidet ihn.
Die Kollegen aus dem Golfclub tuscheln
hinter vorgehaltener Hand.

„Hast du gesehen,
wie der alte Sack wieder glänzt?
Der hat doch bestimmt ’ne 20-Jährige im Bett.“

Stimmt.
Hat er.

Und sie macht Dinge,
von denen die eigenen Ehefrauen
seit zwanzig Jahren nur noch träumen.

Anal? Klar.
Deepthroat? Bis zum Anschlag.
Rollenspiele?
Sie schlüpft in die Sekretärin,
die Krankenschwester,
die strenge Lehrerin,
was immer Herbert will.

Und danach kuschelt sie noch ein bisschen,
raucht eine Zigarette
und sagt:
„Du bist der Beste, Schatz.“

Lüge?
Natürlich.

Aber eine schöne Lüge.
Eine, die Herbert glücklich macht.

Manchmal, wenn er nachts neben ihr liegt,
das Viagra langsam abklingt
und der alte Körper schwer wird,
denkt er kurz an früher.

An seine Frau,
die vor zehn Jahren abgehauen ist.
An die Kinder,
die ihn nur noch anrufen,
wenn sie Geld brauchen.
An die Zeit,
als er noch dachte,
Liebe hätte etwas mit Treue zu tun.

Dann lacht er leise,
dreht sich zur Seite
und schläft ein.

Zufrieden.
Rundherum zufrieden.

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