Sehen

Spelunkenabenteuer

Luiz Goldberg

Der Duft von abgestandenem Bier und Zigarettenqualm
schlägt mir entgegen,
als ich die Tür zur Eckkneipe aufstoße,
diesem Loch, das sich „Zum durstigen Arsch“ nennt,
obwohl keiner den Namen laut ausspricht.

Es riecht nach Männern,
die seit Jahrzehnten dasselbe Glas benutzen,
nach verschüttetem Korn,
nach Schweiß unter Lederjacken
und nach dem süßlichen Gestank von vergessenen Hoffnungen,
die sich in den Ritzen der Resopal-Tische festgesetzt haben.

Ich bin hier, weil ich was brauche.
Nicht das Bier.
Nicht die Stille.
Sondern diesen einen Moment,
wo alles möglich scheint
und gleichzeitig nichts mehr zählt.

Der Wirt, ein Koloss mit Fingern wie Bratwürste,
grunzt nur,
als ich zwei Korn bestelle.
Einen für mich, einen für den Platz neben mir,
der leer bleibt.

Er stellt die Gläser hin, ohne zu fragen.
Wir kennen uns.
Nicht namentlich.
Aber vom Geruch her.

Er riecht nach Arbeit,
nach Frau, die längst weg ist,
nach Kindern, die nie angerufen haben.
Ich rieche nach Einsamkeit,
die sich in die Poren frisst wie Nikotin in Gardinen.

Ich kippe den ersten.
Er brennt schön,
wie eine alte Liebe, die man nicht mehr will,
aber auch nicht loswird.

Draußen nieselt es.
Die Neonreklame flackert „Bier vom Fass“
in einem Rosa, das mal rot gewesen sein muss.
Drinnen läuft Schlager aus den Achtzigern,
leise genug, dass man die eigene Leere noch hört.

Neben mir sitzt einer,
der aussieht, als hätte er seit ’99 dasselbe Hemd an.
Er starrt in sein Glas,
als wäre da die Lösung.

Ich weiß, was er sucht.
Dasselbe wie ich.
Einen Moment, wo der Körper noch spürt, dass er lebt.
Wo was reinkommt, was nicht nur Alkohol ist.
Wo man sich fallen lassen darf,
ohne dass jemand lacht.

Ich rutsche ein Stück näher.
Nicht viel.
Nur so, dass sich unsere Knie berühren.

Er zuckt nicht weg.
Gut.

Wir trinken schweigend weiter.
Der zweite Korn schmeckt schon besser.
Weicher.
Wie eine Zunge, die weiß, wo’s langgeht.

Der Wirt dreht sich um,
wischt irgendwo, wo schon sauber ist.
Die anderen Gäste starren in ihre Gläser
oder auf den Fernseher,
wo irgendein Spiel läuft, das niemanden interessiert.

Hier gilt noch das alte Gesetz:
Du siehst nichts, du sagst nichts, du machst einfach.

Ich lege die Hand auf seinen Oberschenkel.
Fest.

Er atmet tief ein, sagt aber nichts.
Seine Hand landet auf meiner.
Ebenfalls fest.

Kein Wort.
Nur das leise Knirschen von Resopal,
als wir uns ein Stück zur Seite schieben,
Richtung Toilette.

Der Geruch wird intensiver.
Schweiß, Urin, billiges Desinfektionsmittel
und darunter – ganz zart –
der Duft von etwas, das gleich passieren wird.

Die Tür zum Hinterhof steht offen.
Es regnet stärker.

Wir treten raus, zwei Schatten zwischen Mülltonnen.

Kein Kuss. Kein Getue.
Nur das Geräusch von Reißverschlüssen,
das sich anhört wie ein Versprechen.

Er dreht sich um, stützt sich an der Wand ab.
Ich spucke in die Hand.
Einmal. Zweimal.
Mehr brauchen wir nicht.

Es geht schnell. Hart. Ohne Worte.
Nur das Klatschen von Haut auf Haut,
das Keuchen, das sich mit dem Regen mischt.

Er stöhnt leise,
ein Ton, der klingt wie Erleichterung.

Ich schließe die Augen
und rieche alles:
den Spelunkenduft dieser Stadt,
das Bier in seinem Atem,
den Regen auf heißer Haut,
das Leben, das hier noch pulsiert,
obwohl alles andere längst tot ist.

Als es vorbei ist,
zünden wir uns eine an.
Teilen sie.
Schauen in den Himmel, wo keine Sterne sind.

Er grinst schief.
Ich grinse zurück.

Dann gehen wir wieder rein,
jeder an seinen Platz.

Der Wirt stellt zwei neue Korn hin,
ohne zu fragen.

Ich hebe das Glas.
Auf die, die noch kommen.
Und auf die, die nie mehr gehen wollen.

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