Sehen

U-Bahn-Blick

Charles Haiku

In einem U-Bahn-Abteil sitze ich still und sehe,
Mann und Frau missmutig in der schwülen Luft gefangen.
Ihre Blicke meiden sich wie alte Feinde im Krieg,
eine Energie umgibt sie, die von Paar-Sein zeugt.
Doch verfeindet wirken sie in der Stille des Wagens,
unerfüllte Wünsche nagen an ihren Seelen tief.
Träume, die zerbrachen einst in der Alltagsroutine,
Spannung liegt in der Luft, wie ein unsichtbarer Nebel.
Der Zug ruckelt vorwärts auf den Schienen kreischend,
Räder mahlen das Metall in einem endlosen Rhythmus.
Einsamkeit breitet sich aus in dem engen Raum hier,
kein Wort fällt zwischen ihnen, nur Schweigen lastet schwer.
Ich schaue hin und frage mich im Stillen über sie,
wann sie zuletzt umarmt, mit warmer Zärtlichkeit.
Freundliche Worte gewechselt oder Komplimente geschenkt,
die die Seele nähren und das Herz wieder wecken.
Die Frau erhebt sich plötzlich vom Sitz in der Enge,
verlässt den Platz grußlos, während der Mann sitzen bleibt.
Stumm starrt er vor sich hin in die Leere des Bodens,
kein Versuch, sie zu halten in diesem Moment der Trennung.
Der Zug hält quietschend an einem grauen Bahnsteig Berlins,
die Türen öffnen sich mit einem mechanischen Seufzer.
Sie steigt aus in die Kälte der unterirdischen Welt,
ohne ein Wort des Abschieds, nur ein langer Blick bleibt.
Ihre Augen treffen sich in stummer Anklage vielleicht,
oder in letzter Sehnsucht, die unausgesprochen hängt.
Die Türen schließen sich mit einem endgültigen Klang,
der Zug setzt sich in Bewegung und lässt sie zurück allein.
Auf dem Bahnsteig steht sie inmitten der Schatten nun,
der Windzug streicht vorbei von den abfahrenden Waggons.
Ich sinniere über sie und ihre verborgenen Wunden,
ob Sex die Brücke schlagen könnte zu alter Nähe.
Ihre Körper vereinen in leidenschaftlichem Tanz,
um die Seele zu heilen und die Spannung zu lösen.
Oder ist es zu spät für solch eine Vereinigung,
ist der Zug schon abgefahren wie der Zug in der Ferne.

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