Sehen

Über einen bestimmten Prozeß

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Über einen bestimmten Prozeß

den man nicht nennen will,
den man nur spürt –
wie ein langsames Ziehen,
ein inneres Werden,
das sich nicht erklären läßt.

Es beginnt mit einem Gedanken,
der sich nicht fassen läßt,
wie Nebel am Morgen,
der sich hebt,
ohne daß man weiß,
wohin er geht.

Dann kommt das Gefühl,
das sich ausbreitet,
wie Wärme unter der Haut,
ein Pulsieren,
das nicht laut ist,
aber doch alles durchdringt.

Es ist kein Anfang,
kein Ende,
nur ein Dazwischen,
ein Übergang,
der sich nicht benennen läßt.

Man steht davor,
wie vor einer Tür,
die sich nicht öffnet,
aber doch durchlässig ist.

Man tritt hindurch,
ohne zu wissen,
was dahinter wartet.

Es ist der Prozeß,
der sich selbst vollzieht,
ohne unser Zutun,
ohne unser Wollen.

Er geschieht,
während wir schlafen,
während wir wachen,
während wir lieben,
während wir hassen.

Er ist das Leben,
das sich selbst erfindet,
das sich selbst verändert,
das sich selbst vollendet.

Und wir,
wir sind nur die Zeugen,
die Beobachter,
die Mitreisenden.

Wir können ihn nicht lenken,
nicht stoppen,
nicht beschleunigen.

Wir können ihn nur annehmen,
ihn durchleben,
ihn spüren.

Und wenn er vorbei ist,
wenn er sich vollendet hat,
dann bleibt nur die Erinnerung,
die Spur,
die Narbe,
die Erfahrung.

Und wir wissen,
daß es weitergeht,
immer weiter,
in einem neuen Prozeß,
der sich wieder nicht nennen läßt.

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