Sehen

Und Totalversagen

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Fast nirgendwo leuchtende Sterne.
Alleinsein.
Mit Straßendreck überzogene Rinnsteine,
keine Menschenseele sichtbar:
ein Ort,
an dem bei Finsternis Muscheln zerbrechen.
Es konnte nur der Wind gewesen sein,
der mich diese schmutzige Straße hinauf
und zu dem alten Bunker zutrieb,
in dem schon seit langem
keine Gefangenenzellen mehr eingerichtet waren –
zwischen leeren Fluren
und Besenkammern,
und einem Verschlag mit Gittertür.
Ich fand die Tür offen
und ging hinein.
Gleich,
noch auf der Schwelle,
hatte ich diese deutlichen Naturlaute vernommen.
Vor langer Zeit
war ich mal mit meiner Schwester an der Nordsee.
Wir waren mit einem uralten Auto gefahren
und über eine Stiege
zu einem Schuppen gelangt,
der ein flaches Holzdach hatte,
durch das man niemals Wolken erblickt,
und auch keine Blitze,
oder funkelnd sprühende Sternschnuppen.
Und gleich daneben
hörte man dieses Plätschern des Flusses.
Ich ergriff die Hände meiner Schwester
und glitt mit ihr in die seichten Wellen,
und ich konnte nicht mehr
als bis zu den Sternen sehen,
die sich wie leuchtgelbe Punkte
an den äußersten Rand des Ufers widerspiegelten –
und doch auch wieder herauf
zu den Schatten der Bäume,
die sich bis genau zu dem Punkt zeigten,
wo das Wasser des Flusses sich spiegelte.
Aber genau hier,
in diesem sommerlichen Berliner Vorort,
war ich allein,
waren meine Taschen
mit keinerlei Geld gefüllt,
als ich über bemooste Erde
zu einem verlassenen,
von Buchen und Eichen überwucherndem Lagerraum stieß,
der im Mondschein
wie ein bizarres Monument aussah
und in diese Landschaft nicht passte.
Alte Steinbauten und Erdhügel,
meterhoch,
drängten sich gleich neben mich
und ein unheimlicher Laut,
der rhythmisch anstieg
und direkt aus meinem Gehirn auszubrechen schien:
es war wieder das Plätschern dieses Flusses.
Ja, dieser Art waren die Gespenster,
die mich verfolgten,
keine Menschen,
sondern eine andere Form von Kraftfeldern,
unbestimmt,
unsichtbar…
Dann erblickte ich,
durch eine Schießscharte,
eine große goldene Schlange,
aus deren Maul eine feurige Zunge herauszischte –
und menschliche Gestalten,
in seltsamen Uniformen,
und auch ein paar nackte,
die beleuchtet wurden,
die von Holzpalisaden aus
auf etwas schauten:
Es war eine riesige Feuerstelle.
Holzscheite knisterten daraus.
Die Uniformierten waren Männer,
die Nackten waren Frauen,
und alle machten seltsame Geräusche,
die aus ihren Mündern zu kommen schienen.
Die Geräusche waren so fremd,
so anders als alles,
was man von Menschen zu hören gewohnt ist,
so animalisch anmutend,
wehklagend,
in nicht regelmäßigen Abständen…
– Die Schlange aber –

Zugriffe gesamt: 3