Sehen

Ungeschick des erotomanischen Kopfhelden

Ferdinand Freiherr von der Ferne

Es waren nur zwei Beine die in Frauenschuhen steckten,
denen er zusah,
wie sie gingen,
vor ihm her.

Doch als er aus seiner Verträumtheit dadurch erwachte,
weil sein Blick die Beine weiter emporkletterte,
völlig unbewußt,
und erst viel weiter oben,
an einem Rocksaum haltmachte,
da setzte sofort der Instinkt ein,
den er nur allzugut an sich kannte.

Wie ein Jäger lautlos und unbemerkt seine Beute verfolgt,
ging er jetzt diesen Beinen nach,
ohne darüber nachzudenken,
ob der Weg und das Ziel dieser Beine,
auch die seinen waren.

Schon allein die sichtbare Länge der Beine,
bedingt durch die Kürze des Rockes,
waren ihm Anlaß genug,
diesen Beinen,
mit diesem Rock,
weiter nachzugehen.

Erst jetzt gesellten sich dem Instinkt
eine gewisse Neugierde
und eine Art wertende,
aber auch taktische Aufmerksamkeit hinzu,
die auf ein Ergebnis aus waren:
die Entscheidung darüber,
ob die Besitzerin dieser Beine
zu der Zielgruppe seiner erotischen Maßstäbe gehörte.

Es war nur der Bruchteil einer Sekunde,
in dem seine Augen an den Konturen des Rockes,
über Hüften,
Taille und Oberkörper,
bis hin zum Kopf entlangliefen.

Und während er gleichzeitig wie ein Wiesel
links an ihr hervorschnellte,
um beim Überholen ihr Gesicht zu betrachten –
denn, wenn es hochkam,
konnte er erst knapp ein Drittel ihres Kopfes,
ihres linken Profils, erblicken –,
war es dennoch schon da,
das Ergebnis:
ja, sie gehört dazu!
Entschieden und bestätigt!

Gut gut,
Abstriche waren hier zu machen,
durchaus:
war ihr Alter doch mindestens auf Anfang vierzig zu schätzen
und somit war sie etwa zehn Jahre älter als er selbst –
und von einer Makellosigkeit ihrer Beine,
die, jetzt sah er es erst,
von durchsichtigen Nylonstrümpfen umhüllt waren,
konnte nicht gerade die Rede sein.

Denn, obschon er kräftige Frauenbeine sehr mochte,
waren die hier schon etwas zu kräftig.

Doch mehr als ausgeglichen wurden diese Abstriche,
durch die übrigen, ihm sichtbaren Vorzüge,
die er an ihr gewahrte:
Ihre Art zu gehen,
paßte ziemlich genau zu der Art der Kleidungsstücke,
die sie trug –
und wie sie sie trug!

Auch ihr Gesicht,
weit davon entfernt,
hiermit als Schönheit gelten zu können,
brachte dennoch das mit,
was auch ein gewöhnliches attraktiv erscheinen läßt –
ein schön und geschmackvoll geschminktes!

Ja, das hatte sie heraus!
Mit Speck fängt man Mäuse
und mit einem schön geschminkten Gesicht Männerblicke,
mit denen es dann je nach Belieben,
zu verfahren gilt.

Seinen Blick hatte sie gerade eingefangen
und ihm durch ihren Blick ein Hallo-Signal gesendet.

Das reichte aus.

Wie ein Dackel seinem Herrchen,
so folgte er weiter ihren Schritten,
ohne zu wissen wohin.

„Wie werden sich wohl ihre Brüste anfühlen,
wie sieht ihr Arsch wohl aus?“

In seiner Hose wurde es eng.

Nach etwa zwanzig Schritten
trat sie in eine Parfümerie ein,
stellte sich vor ein großes Regal mit Männerdüften
und ließ darauf suchende Blicke entlanggleiten.

Ihm, der natürlich nur einen Schritt hinter ihr stand,
war dies ein Zeichen,
ein Zeichen für eine Chance:
Jetzt in Aktion treten!

„Sie kann lange Strümpfe anhaben,
halterlose womöglich.
Ob sie es mir auch mit dem Mund macht? –
sie wird es gut machen,
ich werde ihren Kopf dabei streicheln,
sie wird es ganz langsam und ausgiebig tun –
bis zum Schluß –
ich werde sie dann küssen –
und dann von vorne...“

Er hatte jetzt Bedenken,
daß sie auf den Teil seiner Hose aufmerksam würde,
der jetzt zu einer enormen Beule angeschwollen war.

Er wollte sich einen Stoß geben –
was tun!

Aber was konnte er schon tun?
Zu den forschen Don Juans und Casanovas gehörte er nicht;
er zählte zum Durchschnittstyp von Männern,
denen, wenn es darauf ankommt von sich aus agieren zu müssen,
eher das Herz in die Hose rutscht.

So war es auch jetzt.

Doch irgendwas mußte er tun,
um am Ball zu bleiben,
wie er sich sagte;
zu sehr fühlte er sich durch ihren Blick von vorhin animiert,
ja geradezu berufen,
diesen Begegnungsfaden weiter aufzurollen,
voll der Hoffnung,
daß am Ende der erotische Kontakt sich einstellen würde.

„Am Ende ist sie unten rasiert,
oder läßt sich von mir rasieren!“

Er stand weiter bloß da –
und das was er jetzt tat,
war sich neben sie vor das Regal zu stellen
und wie wahnsinnsinteressiert,
an den Männerdüften herumzuriechen,
als gälte es für ihn den Duft der Düfte zu entdecken.

Sein Gesuche,
seine überbetriebsame Art
ein Fläschchen nach dem anderen aus seinem Karton herauszuholen
und daran zu riechen,
hatte etwas so Lächerliches an sich,
was ihm nach einiger Zeit von selbst auffiel.

Doch sie anzusprechen,
das wagte er noch immer nicht.

Und was tat sie?
Sie suchte auch in den Männerdüften,
probierte auch einige aus;
nur sah es bei ihr absolut natürlich aus.

„Zwei Mal die Woche könnte ich bestimmt zu ihr hin,
sie wohnt garantiert allein,
so geil wie sie rüberguckt.“

Tatsächlich,
sie hatte ihn wieder kurz angeschaut.
Ein Zeichen!

Er zeigte jetzt einen kläglichen Ansatz sich einzubringen,
indem er ihr einen x-beliebigen Duft,
den er gerade in seiner Hand hielt,
zu riechen empfahl,
aber nachdem sie ihn berochen
und ihn ihm lächelnd,
mit verneinender Gestik zurückgab,
war für ihn alles gelaufen.

Etwa Dreißig Sekunden später
stand er allein vor dem Regal.

Sie hatte wohl nichts entsprechendes finden können
und war einfach wieder gegangen,
das war alles.

Er stand völlig in Schweiß.

„War´s das?
Aber ihr Blick von vorhin…!?“

So dachte er,
während er schon längst wieder an einigen Geschäften entlang lief.

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