Sehen

Unter der Oberfläche so anders

Luiz Goldberg

Es war ein Abend wie aus dem Nichts,
als ich sie traf.
Sie stand am Rand der Bar,
in einem Kleid,
glatt und schwarz,
ohne Falten oder Makel.
Ihr Haar fiel gerade herab,
ihre Haltung war aufrecht,
fast steif.
Ich nippte an meinem Glas
und beobachtete,
wie sie mit den Fingern
über den Rand ihres eigenen Bechers strich,
als wollte sie etwas glätten,
das gar nicht da war.
Sie lächelte den Barkeeper an,
ein Lächeln,
perfekt dosiert,
weder zu warm noch zu kalt.
Ich fragte mich,
ob sie immer so war,
oder ob das nur die Schicht war,
die sie trug.
Ich setzte mich neben sie,
bestellte dasselbe wie sie.
„Langer Tag?“,
fragte ich.
Sie drehte den Kopf,
ihre Augen klar und direkt.
„Immer“,
sagte sie leise.
Wir redeten über nichts Besonderes –
die Stadt,
das Wetter,
die Lichter draußen.
Aber da war etwas in ihrer Stimme,
ein Zögern,
das nicht passte zu ihrem ruhigen Äußeren.
Als ob Worte in ihr warteten,
die nicht herausdurften.
Ich spürte es,
ohne zu wissen warum.
Vielleicht, weil ich selbst so bin,
immer auf der Hut.
Später spazierten wir durch die Straßen.
Die Luft war mild,
und sie lachte über einen Witz,
den ich machte.
Doch ihr Lachen brach ab,
als hätte sie es abgeschnitten.
„Manchmal“,
sagte sie plötzlich,
„fühlt es sich an,
als ob ich zwei Leben lebe.“
Ich blieb stehen,
sah sie an.
„Erzähl mir davon.“
Sie schüttelte den Kopf,
lächelte wieder dieses glatte Lächeln.
„Nichts Wichtiges.
Nur Gedanken.“
Aber ihre Hand zitterte leicht,
als sie sie in die Tasche steckte.
Wir landeten in meiner Wohnung.
Sie setzte sich auf die Couch,
die Beine übereinandergeschlagen,
die Hände im Schoß.
Alles an ihr war kontrolliert.
Ich schenkte Wein ein,
und wir stießen an.
„Was machst du wirklich?“,
fragte ich.
„Ich arbeite in einem Büro.
Zahlen, Berichte.
Langweilig.“
Aber ihre Augen flackerten,
als sie das sagte.
Ich rückte näher.
„Und was denkst du,
wenn du allein bist?“
Sie starrte in ihr Glas.
„Dinge, die ich nicht sollte.“
Da war es,
dieses Etwas.
Ich berührte ihre Hand,
und sie zog sie nicht weg.
Stattdessen lehnte sie sich vor,
küsste mich.
Es war ein Kuss,
der zögernd begann,
dann intensiver wurde.
Ihre Finger gruben sich in meinen Arm,
als wollte sie etwas festhalten.
Wir zogen uns aus,
und ihr Körper war makellos –
glatte Haut,
keine Narben,
nichts, das verriet.
Aber als ich sie berührte,
spürte ich es:
Ein Zittern,
tief drinnen.
Sie schloss die Augen,
biss sich auf die Lippe.
„Mach weiter“,
flüsterte sie.
In der Nacht wurde es klarer.
Sie drehte sich um,
presste sich an mich,
und ihre Bewegungen waren wilder,
als ob etwas ausbrach.
„Sag niemandem etwas“,
murmelte sie einmal.
Ich fragte nicht nach.
Stattdessen ließ ich sie führen,
und sie tat es mit einer Kraft,
die nicht zu ihrem Äußeren passte.
Es war,
als kämpfte sie gegen sich selbst,
gegen diese Schicht aus Perfektion.
Am Morgen wachte sie auf,
zog sich an,
glättete ihr Haar.
„Das war schön“,
sagte sie,
und ihr Ton war wieder neutral.
Ich sah ihr nach,
als sie ging.
Wer siegte in ihr?
Das Verborgene oder das Sichtbare?
Ich wusste es nicht.
Sie war eine Frau,
und das reichte als Rätsel.
Später traf ich sie wieder,
dieselbe glatte Fassade.
Aber nun wusste ich,
was darunter lauerte.
Und ich fragte mich,
ob wir je gewinnen,
wenn wir es herauslassen.

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