Sehen
Warnung an den Fremden
Der Fremde stand vor dem Tor,
dessen dunkle Tür einen Spiegel trug,
der sein Gesicht verzerrt und blass zurückgab,
als wollte er ihn vor sich selbst warnen.
Die Inschrift prangte darüber:
Weich zurück, Fremder,
schöne Schwüre locken dich als Opfer,
doch erträumtes Glück sah niemand je.
Das Tor hatte ein Göttersohn geschaffen,
vom Wahnsinn einer einzigen Nacht betört,
in der Visionen von unermesslicher Macht ihn trieben.
Er berührte den Spiegel,
spürte eisige Kälte durch Finger kriechen,
und dahinter lockte ein Garten
mit Blumen in grellen, pulsierenden Farben,
Duft von süßem Honig vermischt mit rohem Fleisch.
Mutig drückte er die Tür auf,
ein Knarren hallte wie brechende Knochen durch die Stille,
und er trat ein,
wo Pfade sich wanden
und Wurzeln gierig nach seinen Beinen griffen.
Schatten flüsterten verführerische Versprechen:
Ewige Lust, unendliche Stärke, Reichtum ohne Ende.
Er folgte dem Pfad,
Dornen rissen tiefe Wunden in seine Haut,
warmes Blut tropfte auf den Boden
und nährte die Pflanzen, die sich reckten.
Vor ihm materialisierte eine Gestalt,
halb Mensch, halb wirbelnder Nebel,
streckte sehnige Hände aus
und zog ihn in eine Umarmung,
deren Berührung wie Feuer brannte
und Haut schmelzen ließ.
Der Göttersohn hatte in jener Nacht
den Spiegel als letzte Mahnung eingesetzt,
doch selbst er war eingetreten,
suchte den versprochenen Lohn
und fand nur zersplitterte Träume,
Schmerz in endlosen Schleifen,
der seinen Verstand fraß.
Die Luft verdickte sich zu einem Nebel aus Seufzern früherer Opfer,
die ihn umhüllten und in seine Lungen sickerten.
Der Fremde sank nieder,
Qualen umhüllten ihn wie ein Mantel aus Nadeln,
bohrten in Fleisch und Seele,
kein Glück, nur das Echo leerer Schwüre,
während der Spiegel draußen stumm lachte
und das Tor sich schloss,
wartend auf den nächsten Betörten.