Sehen

was hilft gegen Langeweile

Luiz Goldberg

Langeweile –
dieses schleichende Gift,
das sich in jede Pore frisst,
bis der ganze Körper nur noch eine leere Hülle ist,
ein wandelnder Sarg mit offenen Augen.

Man sitzt da,
starrt an die Decke,
zählt die Risse im Putz
und spürt,
wie die Sekunden sich wie zäher Schleim über einen legen.

Nichts regt sich.
Kein Hunger, kein Durst, kein Verlangen –
nur diese eine, alles verschlingende Leere,
die einem sagt:
Du bist tot,
nur die Papiere sind noch nicht unterschrieben.

Dann kommt der Moment,
in dem etwas in dir umschaltet.

Ein Schalter, tief im Hirn,
der plötzlich klickt.

Und du weißt:
Es reicht.

Du brauchst einen Knall.
Einen richtigen.
Keinen aus dem Fernseher,
keinen aus dem Kopfhörer –
einen, der durch Mark und Bein geht.
Einen, der Glas zersplittern lässt,
der Alarm auslöst,
der dich für einen Herzschlag lang wieder spürbar macht.

Du stehst auf.
Ziehst die Jacke über.
Nimmst den dicken Knüppel aus dem Schrank –
den mit dem abgegriffenen Griff,
der schon ein paar Geschichten kennt.

Draußen ist es Nacht.
Die Stadt glüht rot,
nicht von Liebe, sondern von Neon.
Die Straße der verlockenden Fensterscheiben.

Hinter jedem Glas ein Versprechen.
Nicht das von Zärtlichkeit oder Geborgenheit –
das wär ja langweilig.
Nein, das Versprechen von Gefahr.
Von Konsequenz.
Von etwas, das wehtut, aber wenigstens echt ist.

Du gehst langsam.
Lässt den Knüppel locker in der Hand baumeln.

Die erste Scheibe lacht dich an –
ein rotes Herz, ein billiger Stringtanga, ein Preis.

Du bleibst stehen.
Holst aus.

Ein kurzer, trockener Gedanke:
Jetzt.

Der Schlag sitzt perfekt.
Ein ohrenbetäubender Knall,
als hätte jemand die Welt für einen Moment zerrissen.

Glas regnet auf den Asphalt,
klirrend, funkelnd, schön.

Für eine Sekunde bist du wieder da.
Adrenalin schießt durch die Adern
wie flüssiges Feuer.

Du spürst deinen Puls im Hals,
in den Schläfen,
im Schwanz.

Leben.
Endlich.

Die Alarmanlage heult los.
Irgendwo schreit eine Frau.
Du hörst Schritte, schnell, panisch.

Aber das ist egal.
Du hast es geschafft.

Für diesen einen Moment
warst du kein Zombie mehr.
Du warst ein Tier.
Ein Mann.
Ein Gott der Zerstörung.

Dann rennst du.
Nicht aus Angst – aus Lust.

Weil der nächste Schlag schon in deinem Kopf vibriert.
Die nächste Scheibe wartet.
Die nächste Sekunde Leben.

Und irgendwo, tief drinnen,
weißt du:

Morgen wird die Leere wieder da sein.
Größer vielleicht.

Aber heute Nacht hast du sie besiegt.
Mit einem dicken Knüppel
und ein paar zertrümmerten Illusionen.

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