Sehen

Wenn es im Dezember schneit

Charles Haiku

Der Schnee sticht wie tausend kleine Nadeln in die Wangen,
während ich vor dem alten „Capitol“ stehe,
dessen Leuchtschrift seit Jahren nur noch „api“ zeigt.

Drinnen liefen früher Bud-Spencer-Filme
und Pornos mit Uschi Digard,
heute pisst der Wind durch die zerbrochenen Scheiben.

An der Ecke lehnt sie,
die letzte Überlebende dieses Viertels.

Pelzmantel bis zum Boden,
Stiefel mit Absätzen wie Eispickel,
Lippen rot wie frisches Blut auf Schnee.

Sie hebt die Hand,
zwei Finger zum Mund,
dann drei nach oben –
das internationale Tarifsystem der Straße:
Blasen vierzig, halbe Stunde siebzig.

Ich will auch ins Warme.

Mein Schwanz ist inzwischen auf Sparflamme geschrumpft,
ein trauriges Würstchen,
das sich in der Unterhose verkriecht
wie ein Igel im Winterschlaf.

Aber siebzig Euro für eine Frau,
die wahrscheinlich älter ist als das Kino selbst
und deren Parfüm nach billigem Glühwein und Verzweiflung riecht?
Nee, danke.

Ich stelle mir vor,
wie sie mich in irgendeine Wohnung führt,
wo die Heizung nur auf Zimmer drei bullert,
ein Plastikweihnachtsbaum blinkt
und im Fernseher läuft „Sissi“ auf Rumänisch.

Sie würde die Stiefel anbehalten, weil die Füße kalt sind,
und ich würde versuchen, geil zu werden,
während draußen der Schnee fällt
und drinnen die alte Heizung röchelt
wie ein Kettenraucher mit Lungenkrebs.

Vermutlich würde ich nach fünf Minuten schon kommen,
vor lauter Mitleid und Kälte,
und sie würde mir danach einen Glühwein anbieten,
selbstgemacht aus Tetrapack und Nelken,
und fragen, ob ich nächstes Jahr wieder komme.

Ich schüttle den Kopf,
ziehe den Schal höher
und gehe weiter.

Irgendwo gibt’s bestimmt eine Dönerbude, die noch offen hat.
Da kostet der Spaß nur sechs fünfzig,
macht satt
und hinterher riecht man wenigstens nach Knoblauch
und nicht nach verlorenen Illusionen.

Die Nutte zuckt mit den Schultern,
dreht sich weg,
zündet sich eine Zigarette an.

Der Rauch mischt sich mit dem Schnee,
steigt auf wie ein letzter Seufzer dieses verdammten Jahres.

Frohe Weihnachten, du alte Hure.

Vielleicht nächstes Jahr,
wenn die Preise fallen.
Oder die Temperaturen steigen.
Oder ich endlich mal wieder jemanden habe,
der mich umsonst ranlässt.

Bis dahin bleibt mein bestes Stück eben kalt,
sparsam und treu –
genau wie ich.

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