Sehen

Wenn sich schlechter Geschmack mit Grazie paart

Charles Haiku

Es war einmal ein Arsch,
der die Gesetze der Physik verhöhnte.

Ein kolossales, mondgroßes Prachtstück,
das sich in einer engen Stretchjeans bewegte,
als wäre Newtons Gravitationsgesetz nur ein Vorschlag.

Ich stand im Flur unserer Firma,
Kaffeetasse in der Hand,
und sah dieses Wunderwerk der Schöpfung auf mich zukommen.

Links, rechts, links, rechts –
ein rhythmisches Beben,
das selbst die Neonröhren an der Decke zum Flackern brachte.

Man hätte meinen können,
zwei Preisstiere kämpften unter dem Stoff um den ersten Platz.

Sie hieß Sonja aus der Buchhaltung.

Niemand wusste,
wie sie es schaffte, sich morgens in diese Jeans zu zwängen.

Gerüchte kursierten:
Vaseline, Gebete, ein Flaschenzug im Schlafzimmer.
Vielleicht alles zusammen.

Fakt war:
Der Reißverschluss musste unter Zeugenschutz stehen,
und der Knopf führte ein Leben in ständiger Todesangst.

Jeden Morgen dasselbe Schauspiel.

Sie trippelte (ja, trippelte!) durch den Gang,
als wäre sie ein zartes Reh
und nicht die stolze Trägerin des achten Weltwunders.

Die Jeans schrie bei jeder Bewegung um Gnade.
Ein leises, hohes Wimmern,
das nur Hunde und Männer mit schlechtem Gewissen hörten.

Man sah die Nahtstellen kämpfen.
Jede Faser schrie:
„Ich kann nicht mehr! Das ist Textilmissbrauch!“

Ich stand da, hypnotisiert.
Mein Gehirn schaltete auf Stand-by.

Nur ein einziger Gedanke pulsierte durch meine Stirn:
Wie zur Hölle sitzt die danach am Schreibtisch?
Gibt es einen Spezialstuhl?
Einen verstärkten Bürodrehstuhl mit Panzerplatten?
Oder bleibt sie einfach stehen, acht Stunden lang,
wie eine lebende Skulptur
mit dem Titel „Die Rache der Pommes“?

Einmal – ich schwöre, es war keine Absicht –
fiel mir die Kaffeetasse aus der Hand.
Direkt vor ihren Füßen.

Ich bückte mich,
und für einen kurzen, schrecklichen Moment
war ich auf Augenhöhe mit dem Ereignis.

Es war, als würde man vor dem Eingang zum Grand Canyon knien.
Nur runder.
Und mit Stretchanteil.

Sie bemerkte meinen Blick,
lächelte süß
und sagte:
„Na, alles okay da unten?“

Ich nickte stumm.
Was sollte man auch sagen?
„Entschuldigung, ich habe gerade Ihr Hinterteil mit einem Naturwunder verwechselt“?

Seitdem grüße ich sie immer mit besonders viel Respekt.

Man weiß ja nie.
Eines Tages könnte diese Jeans kapitulieren,
und dann möchte ich nicht derjenige sein,
der in Reichweite steht.

Das wäre kein Arbeitsunfall.
Das wäre ein nationales Ereignis.
Mit Blaulicht.
Und Sachverständigen.
Und einem eigenen Wikipedia-Eintrag:
„Der Tag, an dem die Hose verlor“.

Aber eins muss man ihr lassen:
Sie trug dieses Monument
mit einer Grazie,
die jede Ballerina neidisch gemacht hätte.

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