Sehen
Zwischenfall in einem Aufzug des Grandhotels R. in P.
Schulz ging eilig
vom Haupteingang auf den noch offenstehenden Aufzug zu,
denn ihm stand der nächste Termin im Nacken,
den er keinesfalls verpassen durfte.
Die Menschen in diesem Lift
standen offensichtlich ungeduldig,
auf ihn warten müssend,
da der Liftboy die Tür netterweise für Schulz aufhielt –
und zack, war er auch schon drin.
Die Schiebetür schloss sich
und Schulz flüsterte zum Liftboy:
„Fünfzehnter!“
Niemand sagte ein Wort.
Es mochten wohl an die zehn Personen sein,
die, so unterschiedlich wie die Ware in einem Kramladen,
jeder für sich das im Kopf hatte,
was jeweils gleich für sie anstand.
Schulz aber,
der ebenso seinen wichtigen Termin im Kopf hatte,
hatte noch einen weiteren wichtigen Gedanken,
der hier und jetzt absolut Vorrang hatte:
Ihn drückte eine akute Blähung,
die sich unbarmherzig Geltung verschaffen wollte,
indem sich in seinem Darm ein Meteorismus –
eine umfassende Gasansammlung – breit machte –
ein Umstand, den er nicht mehr zurückhalten konnte,
und so entwich ihm stehend
ein Flatus von unfassbarem Ausmaß.
Einzig, dass er völlig lautlos entwich.
Dafür war die Intensität der Geruchsbildung
umso gewaltiger.
Wie höchst peinlich!
Was konnte Schulz nun tun?
Wenige Augenblicke später
machte sich im Aufzug nicht nur die Auswirkung bemerkbar,
sondern fast gleichzeitig
ging ein Ruck durch die Liftkabine,
der ein Steckenbleiben des Aufzugs anzeigte.
Der Liftboy, der zuständig war,
sagte beruhigend:
„Keine Sorge, das haben wir gleich,
das ist in dieser Woche schon zwei Mal passiert –
nur ein Wackelkontakt im Antriebsgetriebe.“
Dabei betätigte er den Notrufschalter
und sprach seinen Text ins Mikro,
damit der Techniker den Kontakt wieder herstellte,
um dass es schnellstens wieder weitergehe.
Derweil ging es in dem beengten Fahrstuhlraum
bizarr zu:
Nach den ersten Sekunden von Schulzes Flatusabgang,
veränderten sich die Gesichter der Fahrgäste
ganz entschieden.
Doch noch keiner entschied sich für einen Kommentar
aufgrund der intensiven Geruchsbildung,
die sich außerordentlich übel ausnahm.
Doch schon wenige Sekunden danach
gingen finstere Blicke von einem zum anderen –
gegenseitige Verdachts- und Vorwurfsblicke,
die jedoch zu nichts führten.
Klar, dass niemand aussagte: „Ich war’s!“
Das vorübergehende Steckenbleiben des Fahrstuhls
verschlimmerte die Situation zusätzlich,
da eine schnelle Abhilfe nicht zu erwarten war.
Eine elegante, schöne Dame vorgerückten Alters
in einem kurzen Cocktailkleid
sah den Herrn, der direkt neben ihr stand,
mit einem verächtlichen Blick an.
Offensichtlich meinte sie,
in ihm den Täter herausgefunden zu haben.
Doch dieser parierte schlagfertig,
indem er ihr zurief:
„Aber meine Dame, das ist doch nicht weiter tragisch,
meiner Schwiegermutter ist das auch schon mal passiert,
ja, in einem Theaterfoyer –
allerdings nicht so lautlos wie bei Ihnen!“
Der Tumult, der daraufhin stattfand,
ist kaum zu beschreiben,
vor allem angesichts der etwa zehn Personen,
die sich selbst allesamt zur gehobenen Gesellschaft zählten.
Schulz war froh und glücklich,
als nach gefühlten drei Minuten
ein weiterer Ruck durch die Aufzugskabine ging
und im nächsten Stock
sich die Aufzugstür öffnete.